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Die Wirklichkeit ist angekommen …

Ein Dossier aus Anlass des russischen Überfalls auf die Ukraine

Maike Lehmann, Annette Schuhmann (Hg.)

Potsdam
DOI: https://doi.org/10.14765/zzf.dok-2724

ABSTRACT



INHALT

ABSTRACT

»Die Wirklichkeit ist angekommen«, sagte Karl Schlögel am 27. Februar 2022 in der sonntäglichen Gesprächsrunde bei Anne Will. Die Zeit sei vorbei, dass man uns Märchen erzähle. Gemeint war damit der unglaubliche »Russland- und Putin-Kitsch«, den Politiker:innen wie Sahra Wagenknecht, Gerhard Schröder oder Gregor Gysi bis heute verbreiten. Noch fünf Tage vor dem Beginn der Großinvasion am 24. Februar 2022 erklärte Schlögel, dieser exzellente und stets auf Verständigung bedachte Osteuropa-Historiker, auf den Angriffskrieg nicht gefasst gewesen zu sein.

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Am Morgen des 24. Februar, kurz nachdem Russland die Ukraine angegriffen hatte, lag eine Mail der Pressesprecherin meiner Universität im Postfach: Sie rechne angesichts der Lage mit vermehrten Anfragen der Presse. Ob ich, immerhin doch Osteuropahistorikerin, als Expertin für den aktuellen Konflikt zur Verfügung stünde?

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»Was will Putin?«, wurde in den letzten Wochen gerätselt. Eher sollte gefragt werden, was will der Westen tun, um die Pläne des russischen Präsidenten zu verhindern. Die hektischen diplomatischen Bemühungen seit Dezember 2021 konnten kaum Ergebnisse bringen, weil die absolute Setzung des russischen Standpunktes keinen Raum für Verhandlungen bot. Insofern sieht im Nachhinein alles, was passiert ist, nach einem minutiös geplanten Szenario aus, das punktgenau mit der Rückkehr der russischen Olympioniken und der anschließenden Rede Putins an die Nation am 21. Februar 2022 seinen ersten Abschluss fand.

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Among Soviet historians it has become a kind of truism that the Soviet Union was in a permanent state of contradictions and that Soviet society adopted to these contradictions with a variety of survival mechanisms that ranged from ignoring contradictions to circumventing their challenges. One of the most significant contradictions was the tension between the Soviet Union’s self-declared anti-imperialism and anti-colonialism and the fact that it asserted its own imperial and colonial structures, especially in the post-WW II period. I shall try to address a different question here: What does and did empire mean to Russians, especially vis-à-vis Ukraine?

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»Zeitenwende«: Gleich mehrfach gebrauchte Bundeskanzler Olaf Scholz in seiner Regierungserklärung zum Krieg in der Ukraine am 27. Februar im Deutschen Bundestag dieses Wort, um zu beschwören, dass seit dem russischen Überfall auf die Ukraine plötzlich alles ganz anders sei. Doch provozieren die großen Worte von der Zeitenwende die Skepsis des Zeithistorikers. Mit einigem zeitlichen Abstand hat sich schon manche eilig ausgerufene historische Zäsur als weniger einschneidend erwiesen, als sie im Eifer des Moments noch scheinen mochte.

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Die Bevölkerung Russlands steht nicht geschlossen hinter dem Krieg gegen die Ukraine. Trotz aller Bemühungen der staatlichen Propaganda, den Krieg in der russischen Öffentlichkeit als »Spezialoperation« zu inszenieren, regt sich vielerorts Widerstand. Jede einzelne Unmutsäußerung erfordert großen persönlichen Mut und Zivilcourage im Angesicht des staatlichen Repressionsapparats. Gegenwärtig kursieren mehrere »Offene Briefe«, die binnen kürzester Zeit von hunderten oder gar tausenden Personen unterzeichnet wurden. Drei dieser Dokumente werden in Auszügen übersetzt und so für ein deutschsprachiges Publikum dokumentiert. 

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Die Welt befindet sich noch immer im Schock, weil niemand glaubte, Putin würde tatsächlich die Ukraine überfallen. Der Fehler lag darin, nicht in Putins Propaganda-Kategorien zu denken, mit denen der Krieg zur »Spezialoperation« und der Angriff zur »Befreiung« wurde. Das noch größere Versäumnis lag darin, dass wir Russlandkenner:innen nicht mit Militärstrateg:innen sprachen, die hätten erläutern können, dass Putin nach dem Lehrbuch des Krieges im 21. Jahrhundert vorgehen würde: erst mit Raketen und schwerer Artillerie alles ausschalten, was die dann nachrückenden Soldaten gefährden könnte.

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Viele wundern sich dieser Tage über den kometenhaften Aufstieg des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj zu einem globalen Medienstar. Selenskyj lässt Putin alt aussehen. Doch hinter seinem internetaffinen, von Videoclips und Selfie-Ästhetik inspirierten Kommunikationsstil stehen mehr als nur ein paar gute PR-Strategen. Dass die ukrainische Führung nun auch in ihrer Kriegspropaganda erfolgreich auf Interaktion und Nähe setzt, ist nicht zuletzt ein Gradmesser für den Stand der öffentlichen Kommunikation in der sich demokratisierenden ukrainischen Gesellschaft.

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Am 15. Februar war ich zum letzten Mal im Archiv des ukrainischen Geheimdienstes SBU. Als ich mich von der Lesesaalaufsicht verabschiedete, blickte ein älterer Nutzer auf. Wo ich denn herkomme? »Aus Berlin«, antwortete ich. »Ach so«, sagte er und schaute wieder in seine Akten, »aus Deutschland. Na, großartig. Ihr Deutschen schickt uns 5000 Helme, und die Russen lassen demnächst Raketen auf uns niederregnen.« Zum ersten Mal in meinem Leben habe ich mich für mein Land geschämt und für meine Regierung, die der Ukraine die angeforderte Unterstützung mit Hinweis auf unsere Geschichte versagte – auf eben jene Geschichte, die ich gerade in Kiew erforschte.

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Als Historikerin, die seit vielen Jahren über die Geschichte des deutschen Vernichtungskriegs in der Ukraine forscht, bin ich erschüttert mitzuerleben, wie Putins menschenverachtender Krieg mit seiner ganzen Brutalität in den Alltag der Menschen in der Ukraine eingebrochen ist. Jetzt ist die Rede von einer Zeitenwende. Im Rückblick wächst die Einsicht, dass wir in Deutschland und Europa durch jahrelange Fehleinschätzungen und zögerliches Handeln eine Mitschuld daran tragen, dass Putin die »rote Linie« immer weiter nach vorne geschoben hat.

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Die Erinnerung an den Zweiten Weltkrieg ist im Krieg in der Ukraine allgegenwärtig. Die alten Menschen, die oft nicht mehr fliehen wollen oder können, erinnern sich an ihre Kindheit im Krieg. Sie erinnern sich an die deutsche Besatzung, an die Zerstörung ihrer Städte, an den mühsamen Wiederaufbau und an die Hoffnungen, die sie in die neue Staatlichkeit setzten. Eine tragische Wiederholung ist auch das Schicksal der Kulturgüter. Vieles wurde während des Zweiten Weltkriegs zerstört, verbrannt oder verschleppt. Noch immer vermissen ukrainische Museen und Bibliotheken große Teile ihrer Sammlungen. Nun droht erneut die Gefahr, dass einzigartiges Kulturerbe zerstört und damit ein Teil der ukrainischen Identität ausgelöscht wird.

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»Entscheidung in Kiew. Ukrainische Lektionen« – so hat Karl Schlögel sein 2015 veröffentlichtes Buch über die Ukraine betitelt. Drei Punkte sind es, die den Band im März 2022 zu einer ebenso fesselnden wie aufwühlenden Lektüre machen. Erstens sind da die politischen Einschätzungen und Prognosen, die klingen, als entstammten sie unserer unmittelbaren Gegenwart. Zweitens faszinieren Schlögels Essays über (sowjet-)ukrainische Städte, die zwischen 1988 und 2015 verfasst wurden. Und drittens unterzieht er seine Doppelrolle als Historiker des sowjetischen Imperiums und teilnehmender Beobachter epochaler Zeitenwenden einer selbstkritischen Revision. Daran schließt sich die Frage an, was Zeithistorikerinnen und -historiker konkret tun können, wenn es ernst wird. 

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In der Ukraine ist Krieg, und allerorts wird die Forderung nach mehr Osteuropa-Expertise laut. Das Problem ist jedoch nicht nur fehlende Expertise, sondern die Sonderrolle der Osteuropaforschung im deutschen Wissenschaftssystem. Über den langen Weg zu einem integrativen Geschichtsverständnis.

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Der Krieg in der Ukraine betrifft Deutschlands Einwohner:innen auf unterschiedliche Art und Weise. Aufgrund ihrer eigenen Herkunft fühlen sich die Menschen aus der ehemaligen Sowjetunion in Deutschland – die postsowjetischen Migrant:innen – besonders von diesem Krieg betroffen, egal wie sie zu ihm stehen. Der Krieg hat direkte Auswirkungen auf ihre Lebenswelten, er betrifft Familienangehörige und Freunde sowohl in der Ukraine als auch in Russland, und er hinterlässt Spuren in den hiesigen Communities. Entsprechend wichtig ist eine differenzierte Betrachtung. Denn es gibt nicht die Einstellung der postsowjetischen Migrant:innen zum Krieg.

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Historiker:innen haben in der Ukraine ein Soundarchiv gegründet, um die Auswirkungen des Krieges in Podcasts zu dokumentieren. Hier spielt das renommierte Center for Urban History in Lwiw eine zentrale Rolle; es sammelt zugleich private Aufnahmen vom Kriegsalltag für sein Urban Media Archive. Und es hat ein Oral History Projekt gestartet, um die Erfahrungen der ersten Kriegstage weiter zu dokumentieren. Aber auch in Kiew und anderen Städten scannen Archivar:innen fieberhaft die Bestände – Bomben- und Granatangriffen zum Trotz. In ihren Heimatstädten stehen Lebensräume, Erinnerungsorte und Gedächtnisspeicher unter Beschuss, die ihr Leben geprägt haben. Sie bei der Bewahrung und dem (Wieder-)Aufbau dieser Speicher zu unterstützen, ist die Kernaufgabe einer europäischen Geschichtswissenschaft.

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Die Volksrepublik China, die Mongolei, Nordkorea und Japan – vier von insgesamt vierzehn direkten Nachbarn Russlands sind ostasiatische Staaten. Im Allgemeinen wird Russland als geografisches, politisches und kulturelles Bindeglied zwischen Asien und Europa verstanden. Allerdings wird Russland in Ostasien und in Japan nicht primär als europäische, sondern als asiatische Macht wahrgenommen. Aus Japans Sicht führt die asiatische Großmacht Russland unter Missachtung territorialer Grenzen einen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg gegen die Ukraine mit Auswirkungen auf Japans politische Agenda.

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Die Bedrohungskulisse des Krieges suggeriert die Reaktivierung einer Zukunftsperspektive, die sich als genuin modern bezeichnen lässt: erstens und ganz banal, weil sich darin die moderne Geschichte des 19. und vor allem des 20. Jahrhunderts zu wiederholen scheint; zweitens aufgrund der wiedergewonnenen Bedeutung des historischen Ost-West-Konflikts, die die bereits länger diskreditierte These eines postmodernen Endes der Geschichte nach 1989 endgültig archiviert; und schließlich, weil der Krieg einen Erwartungshorizont eröffnet, dessen Gestaltung allein in den Händen der Menschen liegt und somit eine völlig menschliche „Machbarkeit“ der eigenen Geschichte voraussetzt. Erleben wir aber wirklich eine Rückkehr der Moderne oder wie können wir die Zeiterfahrung sonst begreifen, die durch den Diskurs über den Krieg gerade ausgelöst wird?

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Die moderne westliche Welt bekennt sich bewusst zu Toleranz, zur Achtung lokaler Stimmen, zur Demonstration der Ideale der Gleichheit, auch auf sprachlicher Ebene. Wichtige Elemente dieses Prozesses sind das konsequente »Gendering«, die Betonung der Tatsache, dass der gewählte Begriff die Gruppenidentität nicht verletzt und keine koloniale Optik reproduziert. Wie sieht die deutsche Terminologie in diesem Zusammenhang in Bezug auf die Länder Osteuropas aus? In den folgenden Ausführungen geht es nicht um die Nationalisierung der Geschichte, sondern um die Gefahr von Doppelstandards bei der Wahl der Terminologie und die Bedeutung einer angemessenen Darstellung der historischen Vergangenheit und Gegenwart.

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As much as war is about armed military conflict, it is also fundamentally about mass displacement, broken lives, and lost futures. This simple truth has become way too obvious in large parts of Poland, where providing food, clothes and shelter to strangers, and collecting donations to help refugees from neighboring Ukraine have become common practices among »ordinary« people. Much of the efforts of this grassroots mass mobilization to help those escaping their war-torn country falls on the shoulders of various parts of society, including individual activists and non-activists as well as civil society organizations. What is perhaps less visible in this civil society mobilization and its media coverage are the efforts of migrant and minority communities that do their share in offering relief to those fleeing from Ukraine.

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»Politische Journalisten in Russland leben gefährlich« – schrieb die deutsche Journalistin Elke Windisch im Mai 2011. »Polemisiert und diskutiert wird nur noch im Internet, in Blogs und sozialen Netzwerken […]. Die Frage ist: Wie lange noch?« Einschränkungen der Pressefreiheit, Zensur und die strenge Kontrolle der Medien in Russland haben nicht erst im Zusammenhang mit dem Angriff auf die Ukraine und nicht einmal im Jahr 2014, nach der Annexion der Krim und dem Ausbruch des bewaffneten Konflikts in der Ostukraine, begonnen. Es reicht nur ein Blick auf die Entwicklung der russischen Medienlandschaft der letzten 20 oder gar 30 Jahre, um zu sehen: All dies begann wesentlich früher. 

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Vor knapp drei Jahren, im Sommer 2019, feierten Studierende aus der Ukraine, Russland und Deutschland in Bremen mit einem Grillfest am Weserstrand den Abschluss eines herausfordernden Geschichtsprojekts: Ein Jahr lang hatten sie intensiv an einer gemeinsamen Internetplattform gearbeitet, die als »Open Memory Map« Informationen zu Orten der Erinnerung an vergessene Opfergruppen des Nationalsozialismus präsentiert. Der unerklärte Krieg in der Ostukraine begleitete das Projekt. Dass sich ukrainische und russische Geschichtsstudierende dennoch begegneten, zusammenarbeiteten und austauschten, war ein erklärtes Ziel von Organisator:innen und Geldgebern. Zugleich war es die größte Herausforderung.

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In Kazan trafen sich im Sommer 2016 Wissenschaftler:innen und Aktivist:innen aus der Russischen Föderation, Tadschikistan, Kirgistan, Usbekistan, Kasachstan, Polen und Tschechien, aus dem Iran, Indien, den USA, Japan, Deutschland, Frankreich und Italien zu einer Konferenz der Central Eurasian Studies Society. Auch damals schon durchzog der Krieg in der Ukraine die Diskussionen. Was war unsere Rolle als Wissenschaftler:innen in diesem Staat, in dem muslimische Migrant:innen aus Zentralasien wie Angehörige einer niederen Kaste behandelt wurden, dessen Einwohner:innen sich angesichts der Besetzung der Krim von einem neuen Hurrapatriotismus hatten mitreißen lassen und in dem kürzlich ein Politiker wie Boris Nemcov, der sich offen gegen die Politik Putins gewandt hatte, ermordet worden war?

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»Ob es dir gefällt oder nicht, da musst du durch, meine Schöne. Du musst dich fügen, anders geht es nicht«, bemerkte Vladimir Putin am 7. Februar 2022 salopp in Richtung der Ukraine, als es auf einer gemeinsamen Pressekonferenz mit Emmanuel Macron um die Einhaltung der Minsker Abkommen ging. Vor dem Hintergrund des massiven russischen Truppenaufmarsches war der französische Präsident sichtlich um eine diplomatische Lösung bemüht und überging – ob aus Irritation oder aus mangelnder Verdolmetschung – die sexuelle Anspielung, mit der Putin der Ukraine unverhohlen eine Vergewaltigung androhte. Putins Rückgriff auf eine sexualisierte Rhetorik im Vorfeld und bisherigen Verlauf des brutalen Angriffskriegs ist kein Ausrutscher, sondern integraler Bestandteil seiner Vorstellungswelt und Selbstinszenierung.

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Insgesamt kämpfen mehrere zehntausend Frauen in den Streitkräften der Ukraine. Seit den Ereignissen auf dem Majdan und dem Krieg im Donbass ist die Zahl der Soldatinnen deutlich gestiegen. Im Jahr 2021 waren mehr als 30.000 Frauen in der ukrainischen Armee. Offiziell liegt der Frauenanteil somit bei circa 15 Prozent. Eine solch hohe Beteiligung von Frauen ist einerseits mit der wachsenden Militarisierung der ukrainischen Gesellschaft und dem Aufbau der professionellen Armee in den letzten Jahren zu erklären. Andererseits spielt sicherlich die historische Erfahrung der Involvierung von Ukrainerinnen in militärische Auseinandersetzungen eine gewichtige Rolle.

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Am 8. Mai 2022 war in der Talkshow von Anne Will der Krieg Russlands gegen die Ukraine Thema. Die Gäste waren der Generalsekretär der SPD Kevin Kühnert, der ehemalige CDU-Politiker Ruprecht Polenz, der Botschafter der Ukraine in Deutschland Andrij Melnyk, die Fraktionsvorsitzende der Grünen Britta Haßelmann sowie der Soziologe/Sozialpsychologe Harald Welzer. Auf den ersten Blick könnte man also sagen, dass diese Runde durchaus gut gewählt war mit Stimmen, bei denen es absehbar war, dass die Debatte kontrovers werden würde. Tatsächlich aber war die Rollenzuweisung Welzers von vornherein problematisch: Er ist zwar zweifelsohne ein ausgewiesener Wissenschaftler, der mit »Opa war kein Nazi« auch für die Geschichtswissenschaft ein wichtiges Buch vorgelegt hatte, Osteuropa-Expertise besitzt Welzer hingegen nicht.

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Im Jahr 1951 veröffentlichte Hannah Arendt ihr Hauptwerk Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft, in dem sie den Nationalsozialismus auf der Ebene der Herrschaftsform mit dem Stalinismus verglich. Bei beiden handelte es sich aus ihrer Sicht nicht um herkömmliche Diktaturen, wie sie seit der Antike beschrieben worden sind, sondern um terroristische Regime, die den Kern allen politischen Handelns zerstören. Spätestens seit Ende Februar 2022 steht die Frage im Raum, ob Putins Russland die Grenze von der gewöhnlichen zur totalitären Diktatur nicht längst überschritten hat. Wichtige Indizien dafür sind das Umlügen von Tatsachen, die Entwicklung einer neuen und im Kern imperialistischen Geschichtsideologie, und Putins Entschlossenheit, diese Ideologie mit allen Mitteln, auch mit brutalster Gewalt, »wahr« werden zu lassen.

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Das erste, was man in Georgien am 24. Februar nach Russlands Angriff auf die Ukraine dachte, war: Fängt jetzt auch der Krieg gegen Georgien wieder an? Sind wir das nächste Land? Auch in Georgien fanden mehrere Demonstrationen gegen den Krieg statt, und die georgische Bevölkerung steht der Ukraine bei, aber die angespannte Situation ist auf andere Art zu spüren. Die Menschen solidarisieren sich nicht nur aus Mitleid mit der ukrainischen Bevölkerung, sondern vor dem Hintergrund ihrer eigenen Erfahrungen. Der Krieg im August des Jahres 2008 hat Spuren hinterlassen.

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Als Russland am 24. Februar 2022 die Ukraine angriff, näherte sich das russische Kriegsschiff Moskwa der Schlangeninsel. Die Aufforderung an die auf der Insel stationierten ukrainischen Soldaten, sich zu ergeben, wurde mit einem vulgären Ausdruck quittiert, der auf Deutsch sinngemäß (wenn auch bedeutend abgeschwächt) mit »Russisches Kriegsschiff, verpiss dich« übersetzt werden kann. Umgehend wurde dieser Spruch unter Ukrainer:innen und sich Solidarisierenden aufgegriffen, auf Demonstrationen sowie in den sozialen Medien reproduziert und der Mut des Soldaten gefeiert. Doch »gibt« es die Schlangeninsel nicht erst seit dem Februar 2022 – diese Insel spielte auch schon vorher eine Rolle, und das nicht nur für die Ukraine bzw. Russland. 

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Der Krieg in der Ukraine ist nicht der erste in den Sozialen Medien, doch kein anderer ging bisher so viral. Die verschiedenen Akteur:innen stehen sich nicht nur physisch-militärisch gegenüber, sondern ringen in einem steten Kampf um Likes in den Sozialen Netzwerken, um die Aufmerksamkeit eines weltweit wachsenden Publikums und die Hoheit der Narrative. Inzwischen ist die Rede von einem „LikeWar“, in dem es allerdings nicht um Likes, sondern um Leben und Tod geht. Dieser Bereich der Cognitive Warfare, bei der das Denken und Handeln von Individuen und Kollektiven das Schlachtfeld bildet, zieht sich durch alle Bereiche des Krieges in der Ukraine und darüber hinaus. Dabei zeigt sich der weltanschauliche Gegensatz zwischen Diktatur und Demokratie auch im Umgang mit und Einsatz von Sozialen Medien.

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Erst seit Februar 2022 hat die Ukraine einen Platz auf der Mental Map vieler Menschen in Deutschland erhalten. Demonstrierende aus der ukrainischen Diaspora wiesen einen Tag nach Beginn der russischen Großinvasion darauf hin, dass auch der Blick in deutsche Familiengeschichten Bezüge zur Ukraine liefern könnte. Einwander:innen aus der ehemaligen Sowjetunion wie auch die Lebensrealitäten und Geschichten ost(mittel)europäischer Arbeitsmigrant:innen in der deutschen Landwirtschaft und der Altenpflege wurden bislang kaum in den Blick genommen. Dieses oft überdeckte und dennoch prägende Wissen ist Gegenstand des folgenden Artikels. Es wird danach gefragt, wie der allgemeine Wissensstand zum Zweiten Weltkrieg und zur deutschen Besatzung in Ostmitteleuropa eingeschätzt werden kann.

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Russians Against War, Voices Of Peace, Sound of Peace und Stand With Ukraine Charity Tour: So hießen die Konzertreihen, die russische Musiker:innen nach Beginn der Invasion zur Unterstützung des angegriffenen Nachbarlands organisiert haben. Bekannte Künstler:innen wie Noize MC, Monetotschka, Zemfira oder Oxxxymiron spielten in Berlin, Helsinki, London, Istanbul, Prag, Tbilisi, Tallinn und Warschau. Sie singen über ihr Heimatland, das von einem „Amok laufenden alten Gnom“ (Oxxxymiron) beherrscht wird, der die Ukraine mit Gewalt überzieht und der Welt mit dem Atompilz droht. Sie beklagen Propaganda und Lüge, Zensur und Unterdrückung, Militarisierung und Kriegskult. Die Musiker:innen sammeln Geld für ukrainische Geflüchtete und rufen auf den europäischen Bühnen die zwei Worte, die in Russland nicht gesagt werden dürfen: нет войне, Nein zum Krieg.

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Musik begleitete die Souveränitätskämpfe und Nationsbildungsprozesse der Ukraine im 20. und 21. Jahrhundert und brachte dabei eines der zentralen Narrative der ukrainischen Geschichte zum Klingen: der lange Kampf um Unabhängigkeit. Musik erzählt von der ukrainischen Behauptung gegen die polnisch-litauische Adelsrepublik, die Habsburgermonarchie und das russische Zarenreich. Und auch im Übergang der Ukraine vom sowjetischen zum postsozialistischen Staat war die Musik Teil der aufflammenden zivilgesellschaftlichen, kulturellen und politischen Souveränitätsbewegung. In dem Beitrag  wird daher die Verschränkung von Musik und Politik in der unabhängigen Ukraine in den Blick genommen.

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»It’s a Date« ist der erste Spielfilm der ukrainischen Regisseurin Nadia Parfan, die bereits durch ihre Dokumentarfilme bekannt geworden ist. Der fünfminütige Kurzfilm läuft auf der diesjährigen Berlinale in der Sektion Berlinale Shorts. »It's a Date« wurde aus der Perspektive eines/einer Autofahrer:in in einer einzigen Einstellung ohne Schnitt gedreht. Der Blick ist durch die Windschutzscheibe auf die Straßen von Kyjiw im Morgengrauen gerichtet, inmitten des Krieges. Wie Nadia Parfan selbst erklärt, wurde sie für diesen Film von Claude Lelouch inspiriert, der in seinem Kurzfilm aus dem Jahr 1976 »C’était un rendez-vous« eine rasante Autofahrt durch das frühmorgendliche Paris zeigt. 

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Russlands Krieg gegen die Ukraine enthüllte nicht nur den imperialen Großmachtanspruch herrschender Eliten in Russland, sondern auch ein generelles kulturelles Überlegenheitsgefühl gegenüber Ukrainer:innen. Darüber hinaus beklagen immer wieder Stimmen aus Kasachstan, Georgien und Usbekistan den kolonialistischen Habitus einiger geflüchteter Russ:innen. Diese Einstellungen haben ihre Wurzeln im russländischen Imperium, denn die Revolution und Gründung der Sowjetunion brachen nur bedingt mit dem imperialen Erbe des Zarenreiches. In einem kurzen, aber besonders repräsentativen Beispiel möchte ich zeigen, wie in der Zwischenkriegszeit diese Hierarchisierung durch öffentlich publizierte Fotografien suggestiv vermittelt wurde.

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Mariupol, Irpin, Butscha – der russische Überfall auf die Ukraine seit dem 24. Februar 2022 führt zu immer neuen grauenvollen Bildern dieses völkerrechtswidrigen Krieges. Mit jedem Ortsnamen werden von nun an die verstörenden Fotografien von den Frauen aus der angegriffenen Geburtsklinik in Mariupol, die tote Mutter mit ihren beiden Kindern in Irpin und die ermordeten Zivilist:innen auf den Straßen von Butscha verknüpft werden. Den visuellen Medien kommt bei der Berichterstattung über diesen Krieg, bei der Deutung wie auch bei der Dokumentation von Kriegsverbrechen eine zentrale Rolle zu. 

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Das Journalisten-Netzwerk n-ost existiert seit 15 Jahren mit Sitz in Berlin-Kreuzberg und hat sich gegründet, um die deutsche und westeuropäische Berichterstattung über Osteuropa zu verbessern. Der Fotograf Stefan Günther hat den Bildbereich aufgebaut. Nach dem russischen Überfall auf die Ukraine am 24. Februar 2022 verfolgt er intensiv die Bildberichterstattung dazu und steht in engem Austausch mit Fotograf:innen aus dem Kriegsgebiet. Im Gespräch mit Christine Bartlitz stellt Stefan Günther das Journalisten-Netzwerk n-ost vor und gibt einen Einblick in seine Arbeit und die aktuellen Entwicklungen.

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Der Krieg Russlands gegen die Ukraine wird auch in einer globalisierten medialen Öffentlichkeit als sogenannter Kommunikations-Krieg ausgetragen. Auf diesem Kriegs-Schauplatz kommt der Darstellung und Deutung der Ereignisse mittels visueller Medien eine zentrale Bedeutung zu. In diesem Beitrag soll ein Motiv herausgehoben werden, dem in allen Analysen ebenfalls eine zentrale Bedeutung zugeschrieben wird: die Repräsentation der beiden Spitzenpolitiker als zentrale Akteure, der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj und sein russisches Gegenüber, Wladimir Putin.

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Am 24. Februar 2022 wurde die Ukraine von Russland überfallen. Seitdem sehen wir Tag für Tag in den Medien verstörende Bilder dieses Krieges. Christine Bartlitz erfährt im Gespräch mit Michael Pfister und Andreas Prost (»Zeit Online«), wie in der Bildredaktion mit diesen Bildern gearbeitet und umgegangen wird.

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»Die russische Aggression kehrt langsam an ihren Ausgangspunkt zurück« – in etwa diesen Worten hat der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj in seiner Video-Ansprache am 25. Juni 2023 sowohl die ukrainischen Drohnenangriffe auf russisches Territorium als auch die Rebellion der Söldnertruppe Wagner unter dem Kommando ihres Anführers Jewgeni Prigoschin zusammengefasst. All diese Ereignisse verweisen auf die Rolle des russischen Präsidenten Wladimir Putin. Um die in diesen Zusammenhängen vermittelten Charakteristika dieser Figur deutlich zu machen, soll im Folgenden das Auftreten des russischen Präsidenten an jenem Ort in den Fokus gerückt werden, von dem aus dieser – wenigstens symbolisch – Krieg und Rebellion zu beherrschen vorgibt: das präsidiale Amtszimmer im Kreml als TV-Studio.