Visual History, 11. April 2022
Der Krieg Russlands gegen die Ukraine, den die russischen Streitkräfte unter der bewusst nebulös gehaltenen Bezeichnung als »militärische Sonderoperation« mit ihrer Invasion am 24. Februar 2022 begonnen haben, wird auch in einer globalisierten medialen Öffentlichkeit als sogenannter Kommunikations-Krieg ausgetragen – darüber sind alle Kommentare und Analysen einig. Auf diesem Kriegs-Schauplatz kommt der Darstellung und Deutung der Ereignisse mittels visueller Medien eine zentrale Bedeutung zu: Auch diese Feststellung wird nicht nur weithin geteilt, sie beeinflusst deren Auswahl aufgrund des Referenzrahmens, den sie für die Deutung des Geschehens zur Verfügung stellen.
Allein die Fülle des Bildmaterials, das seit Kriegsbeginn täglich angeboten wird, lässt einen Überblick über eine (wie auch immer definierte) Gesamtheit der visuellen Kommunikation derzeit nicht zu. Hier soll deshalb ein Motiv herausgehoben werden, dem in allen Analysen ebenfalls eine zentrale Bedeutung zugeschrieben wird: der Repräsentation der beiden Spitzenpolitiker als zentraler Akteure, des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj und seines russischen Gegenübers, Wladimir Putin. Diese Auswahl kann und will eine notwendige Analyse der Kriegsberichterstattung im engeren Sinn nicht ersetzen und will deren verstörende Bilder, die uns täglich erreichen, nicht verdrängen: Sie richtet das Augenmerk bloß für einen Moment auf jene Akteure, die Schlüsselrollen in deren Deutung einzunehmen versuchen.
Die Auswahl dieses Bildmotivs – die Porträts der zentralen Akteure – folgt dabei nicht bloß der allgemein und weithin konstatierten Personalisierung von Politik in medialen Öffentlichkeiten, sondern auch deren Zuspitzung aufgrund der militärischen Befehlsstrukturen im Kriegsfall: Aufgrund ihrer ultimativen Entscheidungsgewalt wird ihnen besondere Aufmerksamkeit gewidmet, die in Analysen der handelnden Personen und ihrer vermuteten Motive ebenso zum Ausdruck kommt wie in ihrer (damit verbundenen) visuellen Dauerpräsenz. In diesem Zusammenhang wird bereits die Verteilung der Aufmerksamkeit zwischen den Akteuren – wie in der politischen Kommunikation allgemein – als Indikator von Erfolg gewertet.
Auch ohne Rückgriff auf eine quantitative Erhebung der Porträt-Abbildungen wird im Verlauf eines alltäglichen Medienkonsums deutlich, dass der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj die dominante Rolle in der Repräsentation und damit der Deutung des Kriegsgeschehens in einer globalen Öffentlichkeit (unter Ausnahme russischer und verbündeter Öffentlichkeiten) einnimmt. Allein dessen tägliche Live-Auftritte in Sozialen Medien, die in elektronischen Massenmedien wiedergegeben werden und aus denen eine Vielzahl gedruckter Cover und Titel von Nachrichtenseiten mit einem Bild Selenskyjs entstehen, geben einen Eindruck davon. Die Aufnahmen des ukrainischen Präsidenten, die zum Teil von ihm selbst mit der Handykamera aufgenommen und live übertragen werden, könnten sich schon allein dadurch und aufgrund der Sichtbarkeit ihrer Produktionsbedingungen (Abb. 1) nicht deutlicher von ihrem Gegenüber, den aktuellen Putin-Porträts, unterscheiden.
Feldherrenporträts
Noch überraschender als diese Entgegensetzung mögen aber die Analogien in der derzeitigen Repräsentation der beiden Präsidenten als militärische Oberbefehlshaber sein, die hier deshalb zunächst hervorgehoben werden: Bei beiden überwiegt in den aktuellen Aufnahmen das sogenannte Brustbild – der Ausschnitt von Oberkörper und Gesicht –, das wir bei ihren Reden, Statements und Gesprächen zurzeit am häufigsten zu sehen bekommen.
Für das Porträt des russischen Präsidenten im aktuellen Kriegsgeschehen ist die Fernsehaufzeichnung der – nicht so genannten – Kriegserklärung an die Ukraine aus einem seiner Amtszimmer im Kreml zu einem prägenden Bildmotiv geworden (Abb. 2): Ausschnitte daraus werden und wurden nicht nur vielfach medial reproduziert, das Motiv des an (s)einem Arbeitstisch im Kreml sitzenden russischen Präsidenten dominiert auch die Visualisierung der Aufzeichnungen seiner folgenden Statements zum Ukraine-Feldzug Russlands.
Ein Rückblick auf die vorangegangenen Kriegseinsätze der russischen Streitkräfte unter der Führung Putins macht darauf aufmerksam, dass die derzeitige Invasion in die Ukraine als die erste militärische Auseinandersetzung unter seinem Oberbefehl in Erscheinung tritt, in der das Porträt Putins die visuelle Personifikation des Kriegsgeschehens nicht beherrscht. Das wird anhand eines Vergleichs mit der vorangegangenen Annexion der ukrainischen Halbinsel Krim im Jahr 2014 besonders deutlich. Als ein besonders markantes Beispiel unter vielen soll hier nur an die Bildmontage auf dem Cover des Economist vom März 2014 erinnert werden, die eine weit verbreitete Fotografie Putins mit nacktem Oberkörper zu Pferde – aus den offiziellen Aufnahmen seiner jährlichen Aufenthalte in der Region Tuwa im Südosten Sibiriens – unter dem Titel »The new world order« auf den Einstieg eines russischen Panzers versetzt hat.[1] Im Gegensatz zu den persönlichen Auftritten Putins in der Region, die 2014 die Vorbereitung der Annexion ebenso wie deren Vollzug mit seinem Porträt vor Ort verbunden haben, tritt er zurzeit beinahe ausschließlich im staatlichen Repräsentationszentrum Russlands auf.[2]
Auch für die visuelle Präsenz Selenskyjs ist das Brustbild die bevorzugte Darstellungsform: Selbst bei dessen Live-Auftritten als virtueller Gast-Redner in parlamentarischen Versammlungen oder in Verhandlungen internationaler Gremien wird er meist sitzend in diesem Ausschnitt präsentiert. Und auch von Selenskyj wird ein Teil seiner Live-Aufzeichnungen in dessen Amtszimmer, hinter dem Schreibtisch sitzend, aufgenommen – wo ihn auch die hier ausgewählte Porträtaufnahme vom 7. März zeigt.
Dieser visuelle Fokus auf den präsidialen Amtssitz, der die beiden zunächst zu verbinden scheint, macht allerdings die Differenzen noch sichtbarer, die auch in Details ins Bild kommen: Seit Kriegsbeginn trägt Selenskyj bei allen Aufnahmen militärische Einsatzkleidung, die sowohl die Bedrohung der Ukraine wie seine Rolle als einer ihrer Verteidiger und seine Funktion als oberster Soldat symbolisch ins Bild rücken. Für Selenskyj ist der Aufenthalt in seinen Amtsräumen aufgrund der Präsenz russischer Truppen und des wiederholten Beschusses der ukrainischen Hauptstadt Kiew ebenso wie durch die Gefahr eines Anschlags riskant. Diese Gefahr bringt er in der ausgewählten Porträtaufnahme auch durch seine Sitzhaltung im Amtssessel zum Ausdruck, die eher die Bereitschaft zur Bewegung, zum Aufspringen, als »business as usual« andeutet.
Demgegenüber soll die Präsentation Putins in dessen Amtsräumen nach dem Muster gewohnter Darstellungen seiner Amtstätigkeit wohl der visuellen Unterstützung der russischen Propaganda dienen und suggerieren, es handle sich bei der »Sonderoperation« um einen Teil der Amtsgeschäfte, dem nicht mehr Aufmerksamkeit als den üblichen Amtstätigkeiten zukomme. Eigentlich ist es in dieser Gegenüberstellung also Putin, der, in Referenz auf bekannte Bilder seines Auftretens im Kreml, »Camouflage«, einen Tarnanzug trägt.
Die schon angesprochene Fokussierung auf das Brustbild kann allerdings im Kontext von dessen traditioneller Verwendung für das Feldherrenporträt[3] bei beiden Protagonisten auch als Verweis auf ihre Funktion als militärische Befehlshaber gesehen werden: Im Vergleich zeigen diese Porträts Selenskyj als den Befehlshaber inmitten der Schlacht, während Putin das Kommando aus der Entfernung führt. In diesem Zusammenhang ist auch die Zurschaustellung symbolischer Macht von Interesse, bei der über die Präsenz der nationalen Flaggen und präsidialen Standarten – hier sowohl gewohnter Teil einer Ausstattung der Amtsräume wie traditionelle Elemente der Feldherrenporträts – hinaus die Kommunikationsmedien abgebildet werden, mit denen die beiden Protagonisten offenbar in Verbindung gebracht werden (sollen).
Im ausgewählten Still von Putins Kriegserklärung sind es außer einem Computer-Arbeitsplatz mit Bildschirm, Tastatur etc. vor allem eine Reihe weißer Telefone auf einem Bord über einer (Telefon-)Anlage, die ins Auge fallen: Diese Reihe von Telefonen, die vor der dunklen Wandvertäfelung und der in denselben Farbtönen gehaltenen Schreibtischplatte farblich besonders heraussticht, zieht als ein wiederkehrendes Bilddetail auch bereits früherer Porträtaufnahmen Putins in diesem Amtsraum den Blick auf sich. Die gesamte räumliche Situation der Aufnahme, mit der geringen Bewegungsfreiheit Putins zwischen Wand und Schreibtischplatte, mutet im Zusammenspiel mit der Telefonanlage eher wie der Arbeitsplatz eines Rezeptionisten als der repräsentative Schreibtisch eines Staatsoberhaupts und Oberbefehlshabers an. Die Auswahl dieses Ortes für die Veröffentlichung einer Kriegserklärung – wie auch dessen regelmäßige Verwendung für Porträtaufnahmen Putins – legt dagegen die Bedeutung einer Befehlszentrale nahe.
Mit Blick auf die letztere Bedeutung wird an den beiden ausgewählten Porträts, in der die Telefonanlage des Kreml Selenskyjs Smartphone gegenübergestellt wird, auch das unterschiedliche Verständnis von Kommunikation sichtbar, das die beiden Protagonisten im aktuellen Kriegsgeschehen charakterisiert: Dem Mann in seiner Kommandozentrale, in der die Telefone wie Relikte vergangener Machtausübung aus der Zeit der Konfrontation der Blöcke stehen – eine Reihe von Porträts des sowjetischen KPdSU-Generalsekretärs Leonid Breschnew zeigen diesen etwa in dessen Amtszimmer im Kreml ebenfalls mit einer Telefonanlage im Bild –, tritt ein Oberbefehlshaber mit mobiler Kommunikation entgegen, die er für die persönliche Verbindung mit seinen Landsleuten ebenso wie für sein Auftreten in einer globalen Öffentlichkeit nutzt.
Ein einsamer Oberbefehlshaber gegenüber dem Gruppenporträt?
Mit der Verwendung seines Smartphones als bevorzugtes Kommunikationsmittel setzt Selenskyj eine weit verbreitete, alltägliche Kommunikationsform ein und bringt sich und seine Situation damit allein schon aufgrund der Verankerung seines Auftretens in den Alltagsgewohnheiten den weltweiten Betrachter:innen näher. Dazu trägt auch die spezifische Ästhetik der so hergestellten Aufnahmen bei, die sich aufgrund ihrer Wiedergabe von Bewegung, der beschränkten Bildausschnitte oder der zeitweisen Unschärfe der Einstellungen etc. deutlich von professionell, etwa mit einer TV-Kamera, hergestellten Bildern abheben.
Mit der Beweglichkeit und dem flexiblen Einsatz seines Smartphones hat Selenskyj von Beginn der russischen Invasion an eine Perspektive auf das Kriegsgeschehen in der Ukraine eröffnet, die ihn zugleich als Soldaten an einer Frontlinie wie in seiner politisch-militärischen Rolle zeigt. Der nächtliche Spaziergang mit einigen Ministern und Mitarbeitern durch das von einer russischen Kommandooperation bedrohte politische Machtzentrum der Ukraine in Kiew, mit dem er die Serie seiner Live-Berichte begann, diente dem Dementi der russischen Falschmeldung von Sturz und Flucht der Regierung ebenso wie der Herstellung einer Vertrauensbasis mit seinen Mitstreitern und einer darüber weit hinausreichenden internationalen Öffentlichkeit (Abb. 3). In diesem Kontext leistet die authentische Anmutung des mit dem Smartphone hergestellten Videos einen Beitrag zur Bestätigung der übermittelten Nachricht.
Eigentlich ist es dieses Gruppenbild, das Selenskyj der Fernsehaufzeichnung der Kriegserklärung Putins unmittelbar in der Winternacht des 25. Februar entgegenstellt: Erst in der Folge wird er als Hauptprotagonist des ukrainischen Widerstands gegen die russische Invasion aus der Gruppe heraustreten. Die symbolische Bedeutung des Gruppenporträts wird ihn aber weiter begleiten. Sie erscheint mir, über das bereits Erwähnte hinaus, als wesentlicher Teil der Wirksamkeit seines Auftretens. Daher greift die ukrainische Berichterstattung auch regelmäßig darauf zurück: Auf dem Weg in Luftschutzräume, bei der Besichtigung der Kriegsschäden, bei Besuchen von Frontstellungen oder von Verwundeten tritt der ukrainische Präsident immer als Teil und Repräsentant eines in diesen Aufnahmen gleichermaßen sichtbaren Kollektivs auf.
Was mitunter in der Diskussion der aktuellen medialen Figur Selenskyjs als die gekonnte »Darstellung« eines Präsidenten durch einen Berufsschauspieler bezeichnet wird, erscheint in diesem Zusammenhang zunächst einmal der Not der Umstände geschuldet – durch den kreativen Einsatz visueller Alltagskommunikation wird diese Notlage allerdings sichtbar gemacht und mit dem Betrachter/der Betrachterin geteilt. »Inszeniert« erscheinen dagegen die Fernsehübertragungen der vorgefertigten Mitschnitte der Reden Wladimir Putins zum Kriegsgeschehen mit ihrer falschen Live-Anmutung.
In meinem Bildgedächtnis hat dieses Gruppenbild der politisch-militärischen Führung der Ukraine eine Verbindung mit Rembrandts Gemälde »Die Nachtwache« aufgerufen, wohl auch des Themas wegen: die Darstellung einer niederländischen Schützenkompanie, die für ihre Selbstbestimmung und Unabhängigkeit gegen die Herrschaft der Habsburger angetreten ist – nicht fertig zum Einsatz oder zur Parade aufgestellt, sondern auf dem Weg zu ihrer Versammlung. In beiden Gruppenporträts weist der Hauptmann mit seiner Hand den Weg aus dem Bild hinaus.
Im Gegensatz zu Wladimir Putin bei seinem jüngsten Auftritt im Moskauer Luschniki-Stadion zur Feier des Jahrestags der Krim-Annexion am 18. März, wo der russische Präsident den Versammelten aus sicherer, großer Entfernung gegenübertritt, ist Rembrandts Hauptmann inmitten der Schützen abgebildet, als Teil von ihnen. Mit dieser Darstellung wurde bereits die Bürgerwehr der aufständischen Niederländer in einer bewussten Entgegensetzung zur Schlachtordnung der imperialen Heere repräsentiert. Der von den abgebildeten Auftraggebern bekanntermaßen abgelehnte Mangel militärischer Ordnung wird inzwischen als Vorschein der Wehrhaftigkeit eines demokratischen Gemeinwesens angesehen.
Anmerkungen
[1] Cover »Economist«, 22.03.2014, https://www.economist.com/weeklyedition/2014-03-22 [05.09.2023].
[2] Bereits die veröffentlichten Aufnahmen von der Beobachtung des Manövers, das offenbar dem Kriegseintritt Russlands regelmäßig unmittelbar vorausgeht – so auch im März 2014 in Transnistrien, dem russisch besetzten Teil Moldawiens –, wurden von der damaligen Teilnahme am Kommando im Felde zum gemeinsamen »Fernsehen« mit dem weißrussischen »Präsidenten« in die Repräsentationsräume des Kremls verlegt; siehe dazu auch Friedrich Schmidt: Militärmanöver Russlands. Putin, Herr der Raketen, in: FAZ, 19.02.2022, https://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/russland-und-die-ukraine-putin-beaufsichtigt-militaermanoever-17818664.html [05.09.2023].
[3] Siehe dazu Diane H. Bodart: Feldherr, in: Uwe Fleckner/Martin Warnke/Hendrik Ziegler (Hg.): Handbuch der politischen Ikonographie, Bd. 1, München 2011, 306–315.