Echt handgemacht

Dimensionen des Authentischen in medialen Handwerksdiskursen

chaaf_Teaser_Der letzte seines Standes - Schmied

Filmstill: Der Letzte seines Standes? Der Schmied (D 1993, Regie: Benedikt Kuby)

Abstract

Der Beitrag untersucht Authentizitätskonstruktionen und ihr Verhältnis zu Medialität im deutschsprachigen Mediendiskurs über »altes« Handwerk, handwerkliches Selbermachen und Do It Yourself (DIY) seit 1990. Dabei wird ebenfalls auf historische Spezialdiskurse eingegangen, auf welche die Deutungen in der Gegenwart zurückgreifen. Drei Paradoxien strukturieren die Untersuchung: das Paradoxon der materialbasierten Entmaterialisierung, das Paradoxon der schnellen Entschleunigung und das Paradoxon der massenmedialen Fortschrittskritik. Daran wird deutlich, dass Medien Authentizität zuschreiben und dabei in einen Widerspruch zu ihrer eigenen Verfasstheit gelangen. Über den Gegenstand »Handwerksdiskurs« hinaus wird dies als inhärenter Bestandteil von Authentisierungsstrategien identifiziert.

 

 

Die Berichterstattung zum »alten« Handwerk, also vorindustriellen Berufen, aber auch zum Handwerken, also zu »traditionellen« Handwerkstechniken, Selbermachen und Do it Yourself (DIY), in Tageszeitungen, Lifestyle-Zeitschriften, TV und Online boomt. Seit den 1980er Jahren sind in Tageszeitungen Berichte zum »aussterbenden« Handwerk ein wiederkehrendes Element im Regional- oder Wirtschaftsteil; TV-Dokumentationen wie Der Letzte seines Standes? (BR 1991-2008) wurden in den 1990er Jahren erfolgreich. Eng verknüpft mit den Portraits oft älterer Handwerker*innen ist der Bereich des handwerklichen Selbermachens, das in Regionalmagazinen wie »Landlust« (seit 2005) und sogenannten Mindstyle-Zeitschriften wie »Flow« (seit 2013) empfohlen und angeleitet wird. Professionelle und Hobby-Handwerker*innen gleichermaßen bieten ihr Können in Kursen für Leser*innen an oder erläutern die Herstellung einzelner Objekte in bebilderten Anleitungen oder Online-Tutorials.

Handwerk und Handwerken als zeitgenössische gesellschaftliche Phänomene werden in medialen Diskursen hergestellt. Dabei spielt Authentizität als Konstrukt und »Effekt« (Lethen 1996, 209) eine zentrale und verbindende Rolle. Zum einen ist Authentizität ein Selektionskriterium: Nur authentisches, »altes« Handwerken ist der Berichterstattung würdig. Zum anderen werden in der Diskursivierung von »altem« Handwerk und Handwerken Authentizitätszuschreibungen vorgenommen; es werden authentische Objekte und authentische Subjekte produziert und damit verbundene Forderungen und Versprechungen geäußert.

Die mediale Aufmerksamkeit für »altes« Handwerk wird häufig einer allgemeineren Nostalgiewelle zugeordnet, wobei angenommen wird, dass breite gesellschaftliche Schichten sich nach Komplexitätsreduktionen sehnen, um so die Verlusterfahrungen der Moderne zu kompensieren. Insofern ließe sich die mediale Aufmerksamkeit für das Handgemachte, das ab den 1970er Jahren mit der Abkehr von der funktionalistischen Industrieästhetik zunehmend wieder zum Qualitätsmerkmal wird, und im Zuge der Hochkonjunktur des handwerklichen Selbermachens Mitte der 2000er Jahren eine Renaissance erfährt, auch als Folge des Strebens des linksalternativen Milieus und seiner Nachkommen nach Selbstverwirklichung, nicht-entfremdeter Arbeit und Ganzheitlichkeit beschreiben (vgl. Samuel 1994, 59f.; McRobbie 2016, 166ff.; Reichardt 2014, 59).

Betrachtet man nun die Medialisierung von Handwerk(en) seit den 1990er Jahren genauer, lässt sich hieran exemplarisch das Verhältnis von Authentizität und Medialität näher bestimmen. Zum einen werden am Beispiel der Handwerksdiskurse zentrale mediale und diskursive Strategien der Authentizitätszuschreibung und ihre Implikationen deutlich. Zum anderen zeigt sich, welche Authentisierungsstrategien verschiedene Mediendispositive anwenden und was aus der Hinwendung zu »authentischem« Handwerken über die Funktionen von Medien zu schließen ist.

Drei zentrale Paradoxien bestimmen dieses Verhältnis von Authentizität und Medialität auch über den Handwerksdiskurs hinaus: das Paradoxon der materialbasierten Entmaterialisierung, das Paradoxon der schnellen Entschleunigung und das Paradoxon der massenmedialen Fortschrittskritik. Der Interdiskurstheorie (vgl. Link 2011, 437f.) folgend, ist davon auszugehen, dass auch wissenschaftliche Spezialdiskurse die mediale Deutung von Handwerken als authentisches und authentisierendes Phänomen beeinflussen. Schließlich ist das »alte« Handwerk Untersuchungsgegenstand verschiedener Disziplinen und wird dort etwa als therapeutische oder emanzipatorische Praxis, als »gute« Arbeit oder als zu bewahrendes Kulturgut angesehen. Auch in diesen wissenschaftlichen Diskursen sowie in sogenannten Subkulturen wie dem Punk werden Handwerklichkeit und Authentizität miteinander verbunden.

Um die Funktionalisierung des Authentischen in Handwerksdiskursen zu analysieren und das dabei erzeugte Verhältnis von Authentizität und Medialität zu beschreiben, ist zunächst eine Operationalisierung notwendig. Susanne Knaller differenziert zwischen reflexiv-relationalen und normativ-ästhetischen Authentizitätskonzepten (2006). Reflexiv-relationale Authentizitätskonzepte begreifen Authentizität als ein diskursives Konstrukt, das als Bezugsgröße zeit- und kontextabhängig in sozialer Interaktion hergestellt wird; Aussagen über den ontischen Status des Authentischen werden dabei nicht gemacht (ebd., 32f., Anm. 5). Die Reflexion von Inszenierungsweise und Medialität dient dabei nicht allein der Authentifizierung des Gegenstands, sondern auch der Beglaubigung der jeweiligen Erzählung und ihrer Erzählinstanz. Im Gegensatz dazu suggerieren normativ-ästhetische Authentizitätskonzepte, dass etwas »Wahres« und »Authentisches« existiert, das erfahren und abgebildet werden kann. Normativ-ästhetische Authentizitätskonzepte operieren mit Strategien der Beglaubigung und einer – unterschiedlich akzentuierten – Ethik bzw. Moral (ebd., 20, Anm. 5).

 

Authentische Körper und authentisches Material

Erstes Paradoxon: Im Zuge der Entmaterialisierung des Authentischen operieren mediale Authentizitätszuschreibungen mit Körperlichkeit und Materialität.

In der mediendiskursiven Authentisierung von Handwerk(en) ist die Betonung von Materialität und Körperlichkeit auffällig. Dabei wird die Beziehung zwischen dem bearbeiteten Material und dem bearbeitenden Körper als Verbindung zwischen Mensch und Natur in ein Schöpfungsnarrativ eingehegt. So wird insbesondere beim professionellen Handwerk, aber auch in Anleitungen zum Selbermachen hervorgehoben, dass Naturstoffe verwendet werden, die wenig und vor allem nicht maschinell bearbeitet wurden. Ein zentrales Narrativ ist dasjenige einer Stoffmetamorphose; etwa vom Baum zum Tisch. Eingeleitet wird es insbesondere in TV-Dokumentationen mit Landschaftsaufnahmen, die z.B. die Materialbeschaffung zeigen. Die Fertigung eines Objekts wird an Hand möglichst aller Produktionsschritte dargestellt. Am Ende steht die Anwendung des fertigen Werkstücks, das häufig noch einmal neben dem Rohstoff im Bild erscheint.

Der Produktionsprozess selbst wird auch als Bändigung der Natur beschrieben. Dabei geht es – anders als man vermuten könnte – nicht um die bloße Evozierung von Körperlichkeit, was sich auf die Betonung der körperlich anstrengenden und sinnlich erfahrbaren Tätigkeit reduzieren ließe. Bestandteile einer solchen Diskursivierung liegen beispielsweise in der Darstellung der Kraftaufwendung, der Beschreibung von Gerüchen und Geräuschen, der Thematisierung der Versehrtheit des Körpers und im bewegten Bild insbesondere in Detail- und Nahaufnahmen der arbeitenden Hände.

Körperlich-sensorische Elemente werden jedoch stets in Verbindung gebracht mit Instanzen der Rationalität, also der vorausgehenden Berechnung und Planung. Diese Rationalitätsinstanzen werden durch den Verweis auf traditionelle Überlieferungen, oftmals aus der Vor- und Frühgeschichte, als unveränderlicher und damit unausweichlicher Schöpfungsprozess eines Vertreters des Menschheitsgeschlechts dargestellt und damit erneut naturalisiert. Hinzu kommt, dass die menschliche Leistung in einem Demutsprinzip der Natur untergeordnet wird, indem die Unwägbarkeiten von Produktionsprozessen betont werden, die häufig Naturzyklen und -gewalten folgen müssten. Materialität und Körperlichkeit fungieren also als miteinander verknüpfte Strategien der Authentizitätszuschreibung, die der Technisierung oder Digitalisierung entgegengesetzt werden. Die Bändigung des natürlichen Materials darf demnach nicht durch Maschinen erfolgen, sondern nur durch Hand und Kopf des natürlichen Menschen. Der menschliche Körper ist demzufolge das verlässlichste Instrument, um das Objekt herzustellen und das Material richtig einschätzen und bearbeiten zu können.

Nur die manuelle Herstellung identifiziert das Objekt und die Praxis seiner Herstellung als authentisch und fungiert als Wertzuschreibung auch zur Definition eines authentischen Produkts. So klärt das Landmagazin »Landlust« in seiner ersten Ausgabe potenzielle Käufer*innen ausführlich darüber auf, woran »echtes altes Bauernleinen« zu erkennen ist: »an einer unregelmäßigen Struktur und an den ab und zu auftretenden Garnverdickungen. Diese sind beim Spinnen von Hand entstanden […]« (Landlust 2005, 63). Maschinisierung ist also nicht gestattet, weil das Produkt dann nicht mehr authentisch und damit weniger wertvoll wäre.

Jedoch verändert sich graduell die Definition dessen, was als authentische Essenz in der Produktionsweise nicht von Maschinen berührt werden darf. So werden Ausnahmen gemacht für Maschinen, die mühselige Zuarbeiten übernehmen, die positiv als Humanisierungen der körperlich beanspruchenden Tätigkeit gefasst werden und den Produktionsprozess ein wenig beschleunigen, aber, wie dann betont wird, nicht verändern: Im Jahr 2000 schreibt die »Frankfurter Allgemeine Zeitung« über die Arbeitsweise einer Glockengießerei: »Freilich arbeitet man […] inzwischen mit modernen Hilfsmitteln und Geräten. Statt mit Fichtenholz wird der Schmelzofen mit Öl beheizt, hat Industrie- den [sic] Bienenwachs ersetzt, wird mit einer Gasheizung das Trocknen der Formschichten beschleunigt. Beim Gießen allerdings ist alles wie eh und je: Erfahrung, Gespür und nicht meßbare Kenntnis. Immer bleibt ein Rest von Ungewißheit« (Barthold 2000, 65).

Es werden jedoch auch Modifikationen des Handwerks legitimiert. Dies betrifft etwa Beiträge der Forschung, die Qualität und Haltbarkeit der Produkte optimieren, wie Computersimulationen zur Berechnung unschädlicher Klöppel für historische Glocken. Damit gilt, dass diejenigen Veränderungen im Handwerk akzeptiert werden, die seine Bewahrung als Praxis und damit als Gegenstand der Berichterstattung erlauben.

Die diskursive Verbindung von Körper und Material ist ebenfalls in Personifizierungen der handwerklich gefertigten Objekte festzustellen. Das »alte« Handwerk produziert auratische Objekte, die – je nach Objekt – menschliche Körperteile (Kopf, Mund) oder Organe (Herz, Lunge) besitzen; der Produktionsprozess wird als Schöpfung oder als Geburt metaphorisiert. Den handwerklich gefertigten Objekten wird eine Einzigartigkeit und Individualität zugesprochen, die sich aus ihrer »menschlichen« Unvollkommenheit ergebe. In der Fortführung überträgt sich die Individualität des Produkts nicht nur auf seine Schöpfer*innen, sondern auch auf seine Besitzer*innen.

Dies wird verstärkt durch die Schilderung der Objektbiografie, die mittels einer genauen Angabe der Herkunft der verwendeten Stoffe auch jenseits vom Handwerk ein ethisches (Verkaufs-)Argument geworden ist. Häufig wird dabei die Regionalität der Materialien und Produktionsweisen hervorgehoben; die Produktionsorte und die mit der Produktion verbundenen Praktiken werden als Teil einer Kulturlandschaft klassifiziert und topografisch verortet. Mit der Abkehr von der traditionellen Produktionsweise droht also auch der Verlust einer größeren kulturellen Entität, was den geäußerten Bewahrungsimperativ verstärkt.

 

Entmaterialisierungen im Kulturerbe-Diskurs

Dass das »alte« Handwerk überhaupt als zu bewahrende kulturelle Praxis portraitiert werden kann, ist maßgeblich einer entsprechenden Deutung in den Geschichtswissenschaften und der Volkskunde bzw. Europäischen Ethnologie geschuldet. Auch auf institutioneller Ebene können Handwerkspraktiken seit Beginn der 2000er Jahre als Kulturerbe klassifiziert werden. Zwei Ereignisse sind hierfür ausschlaggebend, die im Widerspruch zu der skizzierten Betonung von Körperlichkeit und Materialität im massenmedialen Handwerksdiskurs stehen: zum einen die Entmaterialisierung der Authentizitätskonzeption der Organisation der Vereinten Nationen für Bildung, Wissenschaft und Kultur (UNESCO), zum anderen die Entmaterialisierung des Kulturerbes selbst.

Die Kritik an der Implementierung des eurozentristischen Kultur- und Erbekonzepts der UNESCO war für beide Diskursverschiebungen ausschlaggebend. 1994 wurden die Authentizitätskriterien der UNESCO mit dem »Nara Document on Authenticity« den Forderungen nach einem relationalen Authentizitätsverständnis angepasst; Authentizität wird damit zu einer variablen Größe, die je nach Kontext und Perspektive Anwendung findet. Nun konnten auch Veränderungen am »Original« als »authentisch« klassifiziert werden, und es wurde ausschlaggebend, auf welchen Quellen Authentizitätspostulate basieren (Falser 2012, 69f.). Knapp zehn Jahre nach dem »Nara Document« erfolgte die Erweiterung des Kulturerbekonzepts auf das immaterielle Kulturerbe, wodurch nun auch kulturelle Praktiken als Weltkulturerbe gelistet werden können (Kirshenblatt-Gimblett 2004).

Auch die Medien stützen ihre Entscheidung darüber, ob ein Phänomen als »altes« Handwerk beschrieben werden kann, häufig auf die Autorisierung durch geschichtswissenschaftliches oder volkskundliches Wissen. Umgekehrt resultiert das seit den 1970er Jahren wachsende wissenschaftliche Interesse an »altem« Handwerk auch in einer stärkeren öffentlichen Wahrnehmung des Phänomens. Die Ergebnisse dieser diskursiven Praxis in Form von Freilichtmuseen, Handwerks- und Mittelaltermärkten werden in den 1980er und 1990er Jahren auch für ein nicht-akademisches Publikum immer sichtbarer. Diese Inszenierungen von handwerklicher Praxis entstehen nicht vorrangig im Zuge eines verstärkten Interesses der Fachwissenschaften, sondern als lokale Initiativen interessierter »Laien«, wobei eine Kontinuität zu den Handwerksinszenierungen in den Heimatmuseen der Weimarer Republik festzustellen ist (vgl. Roth 1990, 32f.; Jannelli 2014, 41).

Die Medien greifen die wissenschaftlichen und populärkulturellen Bewahrungsbestrebungen für Alltagskulturen auf, was sich ganz konkret in der Übernahme von medialen und narrativen Strategien niederschlägt. Dabei werden auch Inszenierungsweisen und -funktionen adaptiert, die wesentlich älter sind. So geht etwa das Format des Handwerker*innen-Fernsehdokumentarfilms auf den wissenschaftlichen Handwerksfilm zurück, der seit den 1940er Jahren »altes« und »sterbendes« Handwerk portraitiert und zu Verklärungen neigt (vgl. Matter 1983, 196f.; sowie ausführlich Saini/Schärer 2019).

Die kleinteilige Darstellung der Produktionsabläufe, die in Arbeitsanleitungen, aber auch TV-Dokumentationen präsent ist, findet sich beispielsweise ebenfalls in der »Bestandsaufnahme bodenständiger Handwerksbetriebe in Kurhessen und ihrer Arbeitsmethoden« aus den 1930er Jahren – mit dem erklärten Ziel, die handwerkliche Fertigung als »›stoffgerechtere[s]‹« und damit »echteres« Verfahren von der »›maschinell hergestellte[n] Attrappe‹« zu unterscheiden und aufzuwerten (zit. nach Lüdicke 2017, 67f.). Die gleiche Abgrenzung von der »Massenproduktion« und die gleiche Kleinteiligkeit dominieren auch in zeitgenössischen massenmedialen Dokumentationen – mit identischen Effekten: Die minutiös gezeigte Mühsal – auch monetär – nicht zu würdigen, ist undenkbar und unsagbar.

 

Mediale Funktionen: Bewahrung von Praktiken

Welche Funktionen nimmt nun die verknüpfte Betonung von Materialität und Körperlichkeit als eine erste Authentisierungsstrategie ein? Besonders mit Blick auf der topografischen Verortung des »alten« Handwerks und seiner Praktiken wird deutlich, dass die Medien zentrale Forderungen des Kulturerbe-Diskurses wiederholen. Die Sakralisierung der Produktion, die Personifizierung der Objekte und ihre Einordnung als Kulturgut einer bestimmten Region oder Nation bilden die argumentativen Bestandteile eines übergeordneten Bewahrungsimperativs. Der Nichterhalt der Handwerkstechniken liegt damit außerhalb des Sagbaren.

Die Authentisierungsstrategien beruhen auf normativ-ästhetischen Authentizitätskonzepten. Es wird davon ausgegangen, dass es ein »altes« Handwerk(en) gibt, das »wahrhaftig, originell und unverfälscht« ist (Knaller 2006, 20, Anm. 5), und dass Medien dies abbilden, erhalten und bewahren können. Gerade die Übernahme der Erzählkonventionen der volkskundlichen Handwerksforschung, die besonders deutlich im Bereich des bewegten Bildes ist, weist darauf hin, dass im medialen Interdiskurs deklarativ eine archivalische Funktion übernommen wird, die das Gezeigte als »historisches Bilddokument« authentifiziert und autorisiert, wie etwa im Vorspann der TV-Dokumentation Der Letzte seines Standes? (BR 1993) argumentiert wird.

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Video 1: Vorspann aus Der Letzte seines Standes? (D 1993, Benedikt Kuby), 0:03-0:30

Der Zusammenschnitt aus Szenen der mehrteiligen TV-Dokumentation wird im Voice-Over-Kommentar des Sprechers als Wissensschatz »vergangener Generationen« zusammengefasst. Der Beleg für die kulturelle und mediale Verpflichtung zum Erhalt dieses Wissens erfolgt über die Setzung als »Erbe« und über die Bedrohungsszenarien des »Aussterbens« und der Modifikation handwerklicher Berufe (»Zukunft in anderer Gestalt«), die damit als unveränderliche Originale imaginiert und präferiert werden. Als Schutz vor dem Wissensverlust wird das Medium des Dokumentarfilms in Stellung gebracht: »Wir haben gerade noch Zeit, sie im Bilddokument bei uns zu behalten.«

Jedoch sind auch im Bereich der Authentisierung als Kulturerbe Momente der Reflexivität enthalten. Insbesondere die Zunahme der Berichterstattung führt dazu, dass einige »alte« Handwerksmeister zu wiederkehrenden Protagonisten in der medialen Berichterstattung werden. Zu ihrer Expertise auf dem Gebiet des Gewerks zählt dann etwa ab den späten 1990er Jahren auch die Versiertheit im Umgang mit der eigenen Medialisierung.

 

Schnelle Entschleunigung und heilsame Vergangenheitserzeugung

Zweites Paradoxon: Die Medien als Trägerinnen der gesellschaftlichen Beschleunigung übernehmen und propagieren Funktionen der (historischen) Bewahrung und der (subjektiven) Entschleunigung als Zugänge zum authentischen Selbst.

Der mediale Handwerksdiskurs evoziert Zeitstrukturen, die außerhalb des jeweils Typischen liegen, also langsamer sind als die jeweilige Gegenwart. Das »alte« Handwerk und seine Praktiken werden in Form einer Entfremdungskritik als Gegenpol zur beschleunigten Gegenwart gesetzt und erhalten so eine therapeutische Funktion, die Zugänge zu einem authentischen Selbst oder zu einem authentischen Leben ermöglichen soll. Besonders deutlich wird dies in einer Passage aus der TV-Dokumentation Der Letzte seines Standes?, in welcher der portraitierte Protagonist das urbane Leben und das dort vorherrschende Zeitregime der »Hektik« als unvereinbar mit dem Handwerk markiert und der abgelegenen, ländlichen Werkstatt als lebendigen Ort mit einer »Zeit der Ruhe« entgegensetzt. Die vom »Schmied aus Böhmen« hergestellte Verbindung von Natur, Muße und Genieästhetik (der »schöpferische […] Mensch«) weist darauf hin, dass das Subjekt in der geeigneten Umgebung und durch handwerkliche Betätigung selbst zu einem besseren, verträglicheren Zeitempfinden gelangen kann.

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Video 2: Ausschnitt: Der Letzte seines Standes? Der Schmied (D 1993, Regie: Benedikt Kuby), 18:42-19:20

Die Direktadressierung der Zuschauer*innen durch den portraitierten Schmied weicht hier von der in der TV-Dokumentation ansonsten üblichen Beobachtungsperspektive ab. Der »Schmied aus Böhmen« inszeniert sich im theatralem Gestus selbst als authentisches Subjekt; die Ressourcen dafür erhält er aus seiner handwerklichen Tätigkeit, sofern er sie selbstbestimmt und unbeeinflusst von den schädlichen Zeitregimen »der Stadt« ausüben kann.

Transportiert wird die Deutung von Handwerk und Handwerken als Zugang zum »wahren« Selbst vor allem über Zeitsemantiken. Die »Rückkehr« zu Handwerks- und Handarbeitstechniken stellt eine Interruption mit Zeitstrukturen her, die als »zu schnell« kritisiert werden und bringt gleichsam die Subjekte »zurück zu sich selbst«. Dabei werden dominante Konnotationen von Zeitsemantiken zunächst verkehrt: Dauer und Stillstand werden positiv angesehen. Die Dauer der Anfertigung im Vergleich zur industriellen Produktion wird mit der längeren Haltbarkeit der Produkte in Wert gesetzt, während die unveränderte Werkstatt und die unveränderte Produktionsweise den »authentischen Kern« des Handwerks ausmachen. Handwerk(en) bietet demzufolge die Möglichkeit, zu einem langsameren, nicht-synchronisierten Zeitempfinden zurückzukehren.

Insbesondere das freizeitliche Handwerken und Handarbeiten wird als sinnhafte und zugleich selbstbestimmte »Eigenzeit« (Nowotny 1989) diskursiviert, die Zugänge zu einem authentischen Selbst bietet (vgl. Hilsberg 2017; Langreiter/Löffler 2013). In den Massenmedien der Gegenwart ist die Deutung von Handwerken als Zugang zu einer Eigenzeit, die therapeutisch wirkt, nach einem dreigliedrigen Schema aufgebaut: Ein zu kritisierendes Defizit bildet den narrativen Ausgangspunkt, um mittels handwerklichem DIY eine Interruption herbeizuführen, die den defizitären Zustand nicht nur behebt, sondern transzendiert und dem Subjekt zu einer besseren Lebenssituation verhilft.

Ein gutes Beispiel hierfür ist die Selbstbeschreibung einer Hobby-Handweberin in der Zeitschrift »Flow«: »Ich bin sehr pflichtbewusst, und das kreative Schaffen ist für mich ein Alibi, mich mal auszuklinken und eine Pause zu machen. Und es bringt mich wunderbar zur Ruhe. Beim Stricken, Weben und auch beim Zeichnen kann ich plötzlich still sitzen [sic] und bin gleichzeitig doch produktiv. Außerdem verspüre ich dabei tatsächlich ein Gefühl von Freiheit« (Flow 2016, 28). Das Pflichtbewusstsein fungiert hier als Auslöser für die handwerkliche Betätigung, die für den Bruch mit diesem defizitären Zustand sorgt und – durch die Doppeleffekte von Selbstsorge und Produktivität – immerhin soweit legitimiert ist, dass sie ein »Alibi« liefert. Das »Gefühl von Freiheit« bildet dabei das transzendierende Moment, das den defizitären Ausgangszustand überschreitet und dem Subjekt zur Selbstbestimmung verhilft.

Instanzen der Fremdbestimmung, die ein »eigen-sinniges« (Lüdtke 1993) Gestalten von Zeitabläufen verhindern, werden im Handwerksdiskurs immer wieder als Negativfolie für die angeblich autonome Zeitnutzung des Handwerkens genutzt. In der handwerklichen Praxis ist demnach eine nicht-entfremdete Eigenzeit zu erlangen, in der nicht dem Zeitregime der industrialisierten und/oder digitalisierten Arbeitswelt gehorcht werden müsse und der Mensch im Umkehrschluss sich noch bzw. wieder selbst gehöre. Die Entschleunigungserfahrung des Selbermachens wird, wie im obigen Beispiel, dabei jedoch als »Pause« in die vielfach als beschleunigt, anforderungsreich und sinnentleert kritisierten Lebenszusammenhänge in mehrfacher Hinsicht integriert: Sie ist nicht nur eine Rekreationstätigkeit, die sich dem Arbeitsalltag unterordnet und dabei jederzeit verfügbar ist und selbst wiederum jederzeit unterbrochen werden kann; wirklich legitim ist die »Entspannung«, die Abwesenheit von Pflichten, die die Hobby-Handweberin zur »Freiheit« führt, demnach vor allem auch deshalb, weil sie zugleich »produktiv« ist.

Folglich ist auch die Verkehrung der semantischen Konnotationen nur oberflächlich: Es ist sowohl ein Ziel »schnell« oder »plötzlich« zur Ruhe zu kommen als auch den Ertrag des Handwerkens zügig und unkompliziert zu erhalten, womit die Schnelllebigkeit und Effizienz, die den Ausgangspunkt der Kritik bilden und das Handwerken als heilende Praxis erst notwendig machen, als Leitmaxime erhalten bleiben. So erscheint es plausibel, dass medial vermittelte Handarbeitsanleitungen zunächst auf Grundlage von maschinellen Produktionsabläufen entstanden (vgl. Freiß 2011, 36). Mit dem Paradoxon von der schnellen Entschleunigung ist auch die Praxis des »Teilens« von handwerklichen Erzeugnissen und Herstellungsweisen in sozialen Netzwerken wie Instagram im Rahmen einer »Aufmerksamkeitsökonomie« (Reckwitz 2012, 231) zu verstehen, mittels derer der eigentlich intim erlebte Authentizitätsmoment medialisiert wird.

Die Deutung von Handwerken als Praxis der Traditionsbewahrung konstruiert dies nicht nur als moralische Verpflichtung an der Weltgemeinschaft, wie es im Falle der erinnerungskulturellen Bewahrungsimperative im ersten Paradoxon zu sehen war. Vielmehr wird im zweiten Paradoxon die nostalgisierte Epoche des »alten« Handwerks durch die Ausübung handwerklicher Praktiken zu einer Charakterschule, die den Wert »echter« Arbeit vor allem durch die Dauer und Mühen der Anfertigung in einen neuen Zusammenhang setzt. Darin werden insbesondere für die junge Generation wertvolle Lerneffekte vermutet.

So wird in der Zeitschrift »Landlust« ein Reenactment-Erlebnis für Kinder, die auf einem Bauernhof handwerkliche Praktiken ausüben, als pädagogische Erlebnis- und »Zeitreise« beschrieben: Die Distanz der modernen Kinder zum Arbeitsalltag der Vergangenheit werde beim Nagelschmieden überwunden, wenn sie »mit […] hochgekrempelten Ärmeln« Freude und Tatendrang zeigten und damit nicht länger zu jenen gehörten, die »schon lange nicht mehr die Arbeit [kennen], die einst in jedem Nagel steckte«. Entsprechend gebessert verhielten sich die Kinder normkonform, denn »nicht ein Kind kommt an diesem Tag auf die Idee, etwas Unsinniges zu tun« (Landlust 2006, 116f.). Die Parallelen zum Erziehungsdiskurs der Reformpädagogik des 19. Jahrhunderts sind hier auffallend: Die Hinwendung zu »echter« Arbeit, die immer manuelle, vorindustrielle Arbeit bezeichnet, bringt »das Beste« im Menschen zum Vorschein.

 

Authentizität und Handwerken in Therapie- und Erziehungsdiskursen

Entscheidend für diese Deutungen von handwerklicher Betätigung als Technik, die effiziente Zugänge zu einem alternativen Seinsmodus ermöglicht, sind psycho-medizinische und pädagogische Spezialdiskurse, die sich positiv auf handwerkliche Tätigkeiten beziehen und diese als Problembearbeitungsstrategie für als defizitär konstruierte Subjekte propagieren. Dabei sind auch hier die Herstellung von innerer Ruhe durch Handwerk(en) und der Aspekt einer subjektiven Besserung zentral, die – je nach Kontext – psychische Gesundung, ökonomischen Erfolg oder Charakterbildung beinhaltet.

Seit Mitte des 18. Jahrhunderts wurde der Einsatz insbesondere von körperlicher Patient*innenarbeit in psychiatrischen Anstalten als Mittel zur Selbstkontrolle der Patient*innen theoretisiert und als wirksamere Alternative zu körperlicher Züchtigung und Fixierung, aber auch zu Bett- und Badetherapien eingeführt. Bereits die Diskurse der frühen Reformpsychiatrie waren eng verknüpft mit Produktivitätsdiskursen: Nicht nur das Auskommen und die Chancen der Patient*innen auf finanzielle Unabhängigkeit sollten gestärkt werden, auch der ökonomische Selbsterhalt der Anstalten war das Ziel. In Deutschland erfuhr in den 1920er Jahren Hermann Simons »Aktivere Krankenbehandlung« nationale und internationale Aufmerksamkeit. Simon argumentierte, die Einbindung der Patient*innen in körperliche und manuelle Arbeit stelle »Ruhe« und »Ordnung« her, indem sowohl das Anstaltsmilieu als auch der Verhaltensmodus der Patient*innen normalisiert werde (vgl. Simon 1986 [1929], 5ff., 107). Sein Fokus auf der Beschäftigung möglichst aller Patient*innen stilisierte Arbeit zum Lebenssinn und inspirierte Vertreter der NS-Psychiatrie mit dazu, Arbeitsfähigkeit zum Selektionskriterium bei der Ermordung in sogenannten Euthanasie-Aktionen zu erklären (Rotzoll 2015, 195; Kersting 2003).

Der US-amerikanische Diskurs der Arbeitstherapie ist dagegen stark von der Arts and Crafts-Bewegung beeinflusst und führt psychische Erkrankungen auch explizit auf die Anforderungen der Arbeitswelt zurück (vgl. Laws 2011, 70). Im Sinne des Ideals des self-made man wird das Prinzip »Hilfe zur Selbsthilfe« als ökonomisches Argument verwendet: Handwerken als Therapie senkt demzufolge die Kosten des Gesundheitswesens. Fallgeschichten werden in diesem Diskurs als Erfolgsgeschichten erzählt, wie etwa im Falle einer an Neurasthenie erkrankten Lehrerin, die als therapierte Handarbeitslehrerin mehr Geld verdiente als zuvor im Schuldienst (Buck/Hall 1915, 43). Aber auch Arbeiter*innen die »under the strain of competition and the stress of speed« an Neurasthenie erkrankt seien, wird Handwerken als erholsame Tätigkeit empfohlen, die den Geist beruhigen und nebenbei die Muskelkraft wiederherstellen solle (ebd., 35).

Diesseits und jenseits des Atlantiks verbinden Befürworter*innen der Arbeitstherapie therapeutische mit edukativen Motiven und sprechen von ihrer »heil-erzieherische[n] Wirkung« (Ankele 2016, 244). In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurden Handarbeiten und Werken im Diskurs der Reformpädagogik als Erziehungsmaßnahmen diskutiert. Dabei folgte die Arbeitspädagogik der Überzeugung, das Erlernen handwerklicher Grundtechniken resultiere aus einer Nähe zum »richtigen« Leben und generiere Erfahrungswissen, das dem »weltfremden« Buchwissen überlegen sei. Vertreter der Reformschulbewegung wie Georg Kerschensteiner und Hermann Lietz hielten darüber hinaus handwerkliche Tätigkeiten geeignet dafür, den »Charakter« von Kindern und Jugendlichen zu verbessern, sei es, um sie zu »brauchbare[n] Bürgern« (Kerschensteiner 1961 [1912], 223) oder zu »harmonischen, selbstständigen Charakteren, zu deutschen Jünglingen« (Lietz 961 [1910], 74f.) zu erziehen. Bis in die Nachkriegszeit sind ähnlich disziplinierende Appelle mit Bezug auf Hand- und Heimwerken als sittliche und sinnvolle Beschäftigung für junge Menschen in der westdeutschen Freizeitpädagogik zu finden (vgl. Voges 2017a, 52; Kreis 2017).

Beide Spezialdiskurse, der therapeutische und der pädagogische, etablierten also die Deutung, manuelle Betätigung könne innerliche Verfasstheiten zum Besseren verändern. Dieses Postulat von der bewusstseinsverändernden Wirkung von Handwerk(en) erhielt im Zuge der Neuen Sozialen Bewegungen ab den späten 1960er Jahren eine weitere Komponente, da sich die Alternativbewegung asiatischen Mediationstechniken als neuen Therapie- und Selbsterfahrungsformen zuwandte. Dabei wurde der Wunsch bzw. die Forderung, authentisch zu sein, mit dem Primat der »Entspannung« verbunden, wobei die »Befreiung« der Subjekte vom (westlichen) Kapitalismus als »Selbstführungstechnik« wirksam werden sollte (Eitler 2007; Reichardt 2014, 59, Anm. 3; Tändler 2016, 353-360).

Während das Handwerken selbst für die Alternativbewegung eher ein ästhetischer Ausdruck von Nonkonformismus und Konsumkritik als ein Therapeutikum war, wird der Aspekt der Selbstverbesserung und Selbstfindung durch handwerkliche Betätigung in Mediendiskursen in den ersten beiden Dekaden des 21. Jahrhunderts geradezu inflationär geäußert: Im Zuge des Revivals des Handarbeitens und Selbermachens, das als zunächst von der Punk-Szene inspirierte Praxis über das aufkommende Internet und seine Sozialen Medien popularisiert wird, werden Motive des Therapeutischen mit jenen der Selbst-Authentisierung verknüpft. So wird handwerkliches DIY nicht nur, wie bereits in den 1950er Jahren, als stressreduzierendes Mittel gegen zu hohe berufliche Anforderungen propagiert (Schulze 2012, 27; Voges 2017b, 81ff.), sondern mit den entschleunigenden Wirkungen der New Age-Techniken belegt und als »neues Yoga« gefeiert (Eismann/Zobl 2011, 193, Anm. 23).

 

Authentische Subjekte und der Medienmarkt der Entschleunigung

Das Effizienzdenken ist also bereits den frühen therapeutischen und pädagogischen Fachdiskursen zum Handwerken eingeschrieben. Die paradoxale Verquickung von Ruhe, Langsamkeit und Vergangenheit mit einer schnellen Aufhebung von Stress und Hektik erfolgt jedoch erst in den Medien der Gegenwart. Entschleunigung wird also propagiert von denjenigen Medien, die in beschleunigungskritischen Gesellschaftsanalysen mitverantwortlich gemacht werden für die Tendenzen zu einer problematischen Akzeleration (vgl. Rosa 2005, 161ff.). Weil Medien reflexiv funktionieren und zudem die eigene Position auf dem Medienmarkt behaupten müssen, ist es nur konsequent, dass sie die Funktionen des Handwerkens auch auf sich selbst übertragen: So konzipieren sich neuere Lifestyle-Magazine wie »Flow« und »Landlust« qua Inhalt und Ästhetik selbst als »Pause« bzw. Tor zu einer imaginierten langsameren ruralen Vergangenheit.

Da es in der Herstellung des Paradoxons von der schnellen Entschleunigung um die Erzeugung von »authentischen« Subjekten geht, kommen insbesondere reflexiv-relationale Authentizitätskonzepte zum Tragen. Externe autorisierende Instanzen sind nicht notwendig; in letzter Konsequenz der Subjektivierung kann sich das Subjekt Authentizität sogar selbst zuschreiben: Die Herstellung von Authentizität durch handwerkliche Selbstverbesserungstechniken wird dabei als momentaner Zustand beschrieben, dessen Erlangen im Zuge einer implizit oder explizit geäußerten Entfremdungskritik jedoch kontingent bleibt – bevor er sich in Prozessen der Medialisierung und Wiedereingliederung in synchronisierte Zeitregime verflüchtigt. Diesen Zusammenhang von Medialisierung und Authentisierung spricht auch das dritte und letzte Paradoxon an.

 

Authentische Fortschrittskritik in den Massenmedien der Gegenwart?

Drittes Paradoxon: Eine Fortschrittskritik, die das Medium (nicht) erfasst: Das Dokumentarische produziert eine Authentizität, die ihre Medialität negiert, während Online-Darstellungen ihre Medialität zur Authentizitätsproduktion nutzen.

Versuche, Authentizität herzustellen, indem andere Medien diskreditiert werden oder die eigene Medialität Teil der Inszenierung wird, sind etablierte Verfahren des Dokumentarfilms (vgl. Huck 2012, 246f.). Im Falle medialer Handwerksdarstellungen wird Authentizität häufig über eine Gegenwartskritik hergestellt, die an Spielarten der marxistischen und postmarxistischen Entfremdungskritik erinnert. Dabei werden auch die Massenmedien selbst als an Entfremdungsvorgängen beteiligte Instanzen adressiert, und es wird darüber sowohl versucht, die Authentizität des Mediums und der Erzählinstanz als auch des Gesagten zu belegen. Dabei kommt es zu der paradoxen Situation, dass die Massenmedien der Gegenwart Kultur- und Technikkritik üben, indem sie mit einer gesellschaftskritischen Aufladung von Handwerken als »wahrer« Alternative etwa zur Industrieproduktion operieren – und dabei auch auf ihre eigene technische Verfasstheit Bezug nehmen müssen.

Zwei Strategien sind bei diesem dritten Paradoxon entscheidend: Eine erste, etablierte Strategie ist die Negierung von Medialität, die zugleich die Inszenierung von Unmittelbarkeit bedeutet. Dabei werden Instanzen der Medialisierung und Dramatisierung negiert und stattdessen als unmittelbare, also nicht-vermittelte und nicht-manipulierte Formen des Sehens und Erlebens inszeniert. Diesen Eindruck soll etwa die vorgeblich nicht anwesende Kamera als »fly on the wall« erzeugen, die das »natürliche« Verhalten der Protagonist*innen beobachtet, scheinbar ohne von diesen wahrgenommen zu werden. Im TV-dokumentarischen Format des Handwerksfilms ist dies eine beliebte Einstellung, nicht nur für das Zeigen der Arbeitsabläufe, sondern auch für Sequenzen, die Privatheit und Intimität vermitteln sollen.

Video file

Video 3: Ausschnitt aus Der Letzte seines Standes?: Der Faßbinder (D 1993, Regie: Benedikt Kuby), 16:06-17:20

So enthält diese Szene aus der TV-Dokumentation Der Letzte seines Standes? über den »Fassbinder« (BR 1993) zunächst keine Hinweise darauf, dass dem Fassbinder-Ehepaar bewusst ist, dass es gefilmt wird. Die Eheleute blicken nicht in die Kamera, unterhalten sich – unter dem Voice-Over gedämpft und kaum verständlich –, trinken Kaffee, und der Fassbinder beginnt sogar die Zeitungslektüre. Dabei verändert die Kamera ihre Position im Raum nicht, arbeitet nur mit einem Schwenk und veränderten Einstellungsgrößen. Dass die Szene inszeniert und die Anwesenheit der Kamera allen bewusst ist, wird jedoch daran deutlich, dass die Kamera auf den hereinkommenden Fassbinder wartet und ihm mit einem Schwenk an den Küchentisch folgt sowie den Tisch in der Totalen belässt, bis die Frau in das Bild hineintritt, sich hin- und zurechtsetzt. Erst dann erfolgt der erste weiche Schnitt zur Nahaufnahme der Frau. Der Ablauf dessen, was gezeigt wird, muss also vorher besprochen, vielleicht sogar geprobt worden sein. Gezeigt wird jedoch eine Unmittelbarkeit, die ein Teilhaben der Zuschauer*innen am »authentischen« Leben der Protagonist*innen suggeriert.

Über den Kommentar wird eine weitere Form der Entfremdungskritik vermittelt. Sie betrifft die Weltfremdheit der Protagonist*innen, und hier konkret die Weigerung des Fassbinders, in die Rentenversicherungskasse einzubezahlen, um den anfallenden bürokratischen Aufwand zu umgehen. Stattdessen arbeite er trotz seines hohen Alters weiter als Fassbinder. Dass dies die normativ »richtige« Lebensweise ist, wird dadurch belegt, dass – so heißt es im Kommentar – der Fassbinder »noch nie krank [war]«, was urbanes, verwaltetes Lebens implizit mit Krankheit identifiziert.

Die Protagonist*innen von Handwerksfilmen sind häufig als Personen inszeniert, die nicht Teil der extradiegetischen Gegenwartsgesellschaft sind, sich in ihr nicht zurechtfinden oder fernab von ihr leben. »Störungen« der nicht-entfremdeten Inseln, etwa »moderne« Maschinen wie Hubschrauber oder Mobiltelefone, werden als nicht zur Diegese zugehörig und damit als »falsch« markiert und kritisiert. Die technischen Mittel des Filmens selbst aber werden von dieser Kritik ausgenommen, da sie, dem Inszenierungsparadigma der Unmittelbarkeit folgend, eigentlich nicht vorhanden sind.

Es ist bemerkenswert, dass die Handwerksdokumentationen des Fernsehens in weiten Teilen die filmischen und erzählerischen Konventionen des wissenschaftlichen Handwerksfilms adaptieren, jedoch in der Inszenierung von Unmittelbarkeit auf unterschiedliche cineastische Verfahren und Traditionen zurückgegriffen wird. So wurde in modernen wissenschaftlichen Handwerksfilmen der 1970er und 1980er Jahre darauf verzichtet, die Medialität des Gezeigten zu negieren, etwa indem Interviewsituationen mit dem befragenden Wissenschaftler im Bild sichtbar waren oder betont wurde, dass der Protagonist etwas »für den Film« zeige (vgl. ausführlich Saini/Schärer 2019). Dagegen ist in TV-Dokumentationen der Redakteur oder die Redakteurin meist so hinter der Kamera platziert, dass er oder sie außerhalb des Bildes ist und die Protagonist*innen die Zuschauer*innen direkt anzusprechen scheinen. Fiktionalisierungen, wie etwa die Inszenierung von einzig für den Film durchgeführten Arbeitsabläufen in einem Museum werden erst ganz zum Schluss der Folge als gestellter Produktionsprozess aufgelöst (BR 2000).

Auch wenn im wissenschaftlichen Handwerksfilm durchaus auch dramatisch montiert wird, ist das Erzähltempo langsamer, nüchterner und um Distanz bemüht. Wie Eva Knopf für den frühen Wissenschafts-Tierfilm herausgearbeitet hat (Knopf 2017), ist auch im wissenschaftlichen Handwerksfilm das Mittel der Wiederholung eine zentrale Authentisierungsstrategie. So wird nicht nur ein und derselbe Produktionsvorgang mehrfach wiedergegeben, sondern auch nochmals in separaten Szenen erklärt. Dagegen zeigt der Unterhaltungsdokumentarfilm in der Regel lediglich die Fertigung eines einzigen Objekts, wobei jeder relevante Arbeitsschritt höchstens einmal präsentiert wird. Die in der Wiederholung angedeuteten Verweise auf »entfremdete« Arbeit, die in den Zumutungen einer unentrinnbaren Routine und einer wenig unikalen Serialität sichtbar werden, bleiben damit außen vor. Zwar folgen die TV-Dokumentationen den Ansprüchen der Wissensvermittlung und -bewahrung des volkskundlichen Films, bleiben aber den Konventionen dramatischer Inszenierungsweisen und auch der Erzeugung von Unmittelbarkeit verpflichtet.

Entgegen diesen Bemühungen, auratisch-ästhetische Momente von Authentizität zu vermitteln, lässt sich eine zweite Strategie identifizieren, bei der Medien ihre eigene Medialität bewusst reflektieren und darüber auf die Herstellung von Authentizität im und als Verfahren abzielen. Im Bereich des nicht-bewegten Bildes der Zeitschriften, Zeitungen und internetbasierten Medien ist das Phänomen der Analogisierung des Digitalen eine entfremdungskritisch motivierte Form der Authentizitätserzeugung. Die seit 2013 in Deutschland erscheinende Lifestyle-Zeitschrift »Flow« arbeitet etwa mit einer Ästhetik aus Wachsmaloptik, scheinbar nicht-standardisierter, fehlerhafter Schreibmaschinen-Typografie und unterschiedlichen, extrem hochwertigen Papiersorten. Die steigende Verwendung von bzw. die Verweise auf analoge Technik und Handgemachtes in digitalen Medien gelten als Versuche, Authentizität zu erzeugen (Eisele 2011, 67, Anm. 23; Luckman 2013, 254; Schrey 2017, 110f.).

Entsprechende etablierte filmische Strategien sind etwa das Zeigen oder Thematisieren von (Produktions-)Fehlern, Brüche im Erzählverlauf, etwa durch Ironisierung, Abschweifungen und direkte Ansprache der Zuschauer*innen, Schnellvorlauf und Slow Motion, das Zeigen der Kamera sowie die Relativierung oder sogar Diskreditierung der eigenen Fähigkeiten. Alle genannten Verfahren kommen in Online-Tutorials für handwerkliche Techniken zum Einsatz, die dadurch sowohl das Gefälle zwischen instruierender und instruierter Person nivellieren als auch die Authentizität des selbstinszenierten Subjekts als Sympathie- und Verkaufswert erzeugen sollen. So gilt die von Luc Boltanski und Ève Chiapello diagnostizierte Nutzung von Authentizität als Marketingstrategie (Boltanski/Chiapello 2007) auch für Verkaufsplattformen wie Etsy und Dawanda.

Abb. 1: Screenshot der Website der Online-Plattform Etsy (www.etsy.com) vom 19.06.2017

Abb.: Screenshot der Website der Online-Plattform Etsy (www.etsy.com) vom 19.06.2017

Dass die mediale Fortschrittskritik über das Vehikel des Handwerks als vermeintlich transformatorischer Praxis umstritten ist, lässt sich am Beispiel der Diskussion um das emanzipatorische Potenzial weiblichen Handarbeitens illustrieren. Die Möglichkeiten, insbesondere für weibliche Handwerkerinnen, durch den Verkauf ihrer Erzeugnisse auf Online-Plattformen wie Etsy sozio-ökonomische Teilhabe und Anerkennung für bislang verborgene und marginalisierte weibliche Produktivität zu erfahren, werden von einigen Wissenschaftler*innen als gesellschaftskritisch und emanzipatorisch bewertet, von anderen jedoch als naiv bezeichnet (Luckman 2013, 261, Anm. 43; Langreiter 2017, Anm. 34). Im Sinne dieser Kritik müssten nicht nur die Produktionsbedingungen der neuen weiblichen »Heimarbeit« analysiert werden, sondern auch die fragwürdigen Ausweitungen der Selbst-Kommerzialisierung von Subjekten, die sich nun auch durch ihre eigene, kontrollierte Fehlerhaftigkeit authentisieren.

 

Entfremdungskritische Traditionen

Auch zahlreiche Wissenschafts- und Theorietraditionen konstruieren im Rahmen einer Kritik an Gesellschaft und Wirtschaft das (»alte«) Handwerk als authentische, »natürliche« und »richtige« Form des Lebens und Arbeitens. Die Erfindung des Handwerks wird im Diskurs der Paläoanthropologie als wichtiger Schritt in der Menschwerdung apostrophiert. André Leroi-Gourhan etwa setzt sich in seinem Klassiker »Hand und Wort« sowohl dafür ein, die Bedeutung des Handwerks für die »Zivilisation« zu rehabilitieren, als auch in der Gegenwart »den Handwerker« als denjenigen anzuerkennen, »der das Menschlichste im Menschen materialisiert« (vgl. Leroi-Gourhan 1988 [1964], 221f.). In einer ähnlichen Weise naturalisierend, entwerfen Fortschritts-, Technik- und Entfremdungskritiken handwerkliche Produktion als Ideal und Gegenbild zum sich entwickelnden Industriekapitalismus. Das Handwerk erscheint in dieser fachübergreifenden Diskursivierung oftmals ex negativo als eine »gute« Arbeit und »natürliche« Arbeitsweise, die »dem Menschen« entspricht oder, noch eher, als unwiederbringliche Figur der Vergangenheit entsprochen habe. Dieser Ausdruck der romantischen und postromantischen Kritik der Moderne findet sich im Ideal des Handwerkers in den literarischen Handwerkserzählungen der Romantik, aber auch im Nationalsozialismus (vgl. Bies 2017, Anm. 15). In kulturanthropologischen Studien werden auf der »Suche nach Authentizität« Ideale nicht-entfremdeter Arbeit in die exotisierte Sphäre »primitiver Kulturen« projiziert (vgl. Bendix 1997; Spooner 1986).

In diesem Sinne ist auch die Entfremdungskritik von Karl Marx als Verlustnarrativ konzipiert. In der »Deutschen Ideologie« geht Marx davon aus, dass durch die Notwendigkeit der Spezialisierung »jeder mittelalterliche Handwerker ganz in seiner Arbeit auf[ging]« – was Marx allerdings angesichts der Abhängigkeitsverhältnisse zwischen Gesellen und Meistern nicht weiter überhöht, sondern als »gemütliches Knechtschaftsverhältnis« beschreibt (Marx 1969 [1932], 52). Während bei Marx die Bezugnahme auf einen wiederherzustellenden natürlichen »Urzustand« fehlt, ist dieser in Entfremdungstheorien, die Entfremdung nicht vorrangig als Phänomen der Ökonomisierung, sondern, dann eher mit Rekurs auf Martin Heidegger bzw. Sigmund Freud, als gestörtes Verhältnis zwischen Subjekt und Welt verstehen, explizit oder implizit enthalten. Einflussreich ist die Theoretisierung der Maschinisierung als sozial-psychologische Entfremdungserfahrung bei Günther Anders und Herbert Marcuse (vgl. Anders 1956; Marcuse 1965 [1955]). Auch von rechtskonservativer Seite gibt es etwa mit Oswald Spengler, Ernst Jünger oder Arnold Gehlen zahlreiche Beispiele für eine kritische Betrachtung der Technisierung (vgl. Spengler 1931; Jünger 1932; Gehlen 1962 [1932]). Allerdings ist in beiden politischen Lagern die Figur des »alten« Handwerkers nicht konstitutiv für die Theoriebildung.

In der jüngeren Zeit befassen sich, diesmal mit deutlicherer Ausformulierung von Handwerklichkeit als Ideal, Hartmut Rosa und besonders Richard Sennett mit Entfremdung in Arbeits- und Sozialbeziehungen (Rosa 2013 u. 2016; Sennett 2009). Sennett erhebt Handwerklichkeit zum universellen Arbeitsethos und nennt Gemeinschaftlichkeit, die Liebe zur Profession und die Näheverhältnisse in der Ausbildung als konstitutive und auf andere Bereiche übertragbare Elemente (2009, Anm. 52). Vorsichtiger ist in dieser Hinsicht Rahel Jaeggi, die davor warnt, den »Künstler-Handwerker« als Ideal der Entfremdungskritik in Stellung zu bringen, nicht nur, weil er eine beliebte Figur der Reaktion sei, sondern auch, weil er sich für neoliberale Produktivitätsdiskurse eigne (Jaeggi 2016, 318f.). Auch jenseits der Stilisierung des Handwerks als Ideal ist eine Konstante in den Diskursen konservativer und progressiver Gesellschafts- und Kulturkritik konstitutiv für das dritte Paradoxon: Die Diskurse beinhalten fast ausnahmslos eine deutliche Kritik an Medien als Verursacherinnen von Entfremdungserfahrungen.

 

Fazit

Die mediale Herstellung von Authentizität im Handwerksdiskurs seit 1990 lässt drei zentrale Paradoxien erkenntlich werden: das Paradoxon der materialbasierten Entmaterialisierung, das Paradoxon der schnellen Entschleunigung und das Paradoxon der massenmedialen Fortschrittskritik. Um Bewahrungsimperative zu äußern, werden vor dem Hintergrund der Pluralisierung des Kulturerbe-Diskurses Naturalisierungen vorgenommen; es wird medienübergreifend hauptsächlich mit ästhetisch-normativen Authentizitätskonzepten operiert. Doch auch mit Rekurs auf relational-reflexive Authentizitätskonzepte lassen sich Bewahrungsimperative formulieren.

Dabei zeigt sich, dass relational-reflexive Authentizitätskonzepte häufig in Subjektivierungsangeboten Anwendung finden, wie bei der interdiskursiven Verwendung von therapeutischen und pädagogischen Deutungen von Handwerken. Als authentisierende Selbstführungstechnik wird Handwerken mittels spezifischer Zeitsemantiken umgesetzt. Hierbei wird auf Vorstellungen des 19. und frühen 20. Jahrhunderts zurückgegriffen, die vor allem in Lifestyle-Zeitschriften und den Sozialen Medien des 21. Jahrhunderts zum Tragen kommen. In beiden Forderungen, also jener nach Bewahrung und jener nach Selbstverbesserung durch Selbstfindung, wird auf einer Ursachenebene Entfremdungskritik geäußert, für die handwerkliche Praktiken als Problemlösungsstrategie angeführt werden. Fungiert Handwerken als Vehikel einer Entfremdungskritik im Mediendiskurs, wird dabei auch das Spannungsverhältnis zwischen Medialität und Authentizität verhandelt.

Insbesondere die in den 1990er und 2000er Jahren produzierte TV-Dokumentationsreihe Der Letzte seines Standes? transportiert durch die Negierung ihrer Medialität eine nostalgisierende Entfremdungskritik. Im Gegensatz dazu wird in neuen Sozialen und Lifestyle Medien eine kalkulierte Fehlerhaftigkeit als diskursive und mediale Strategie verwendet; die eigene Medialität also betont. Das wird besonders deutlich an in Online-Tutorials hervorgehobenen Verweisen auf Fehler sowohl im handwerklichen Herstellungsprozess als auch in der filmischen Produktion selbst. Eine Übertragung vom Inhalt auf die Form findet auch in Zeitschriften statt: So werden die neueren Lifestyle-Magazine »Landlust« und »Flow« seit 2016 über eine gemeinsame Verlagsgruppe vertrieben, die sich »Medienmanufaktur« nennt und an der der Landwirtschaftsverlag Münster und Gruner + Jahr beteiligt sind. Insofern dient die Inszenierung von Medienprodukten als »handgemachten« Erzeugnissen nicht nur einer reflexiven Authentisierung der Inhalte, sondern auch der eigenen Vermarktung des Mediums als besonders »wertvoll« – gerade im Gegensatz zu anderen, implizit diskreditierten Medienprodukten.

Aus der Diskursivierung eines Gegenstands als authentisch lassen sich folglich verschiedene Imperative und Handlungsaufforderungen ableiten, wie etwa der Schutz von Kulturerbe, die Verpflichtung zur Selbstheilung und Selbstführung oder die Aufwertung von (Medien­-­)Produkten. Dabei kommen sowohl reflexiv-relationale als auch normativ-ästhetische Authentizitätskonzepte zum Einsatz, die aber auch kombiniert werden können. Dies geschieht dann, wenn Subjekte sich selbst authentisieren, also von einer – zumindest temporär verfügbaren – Authentizität ausgehen, deren Herstellung aber diskursiv und performativ vollzogen wird. Die Fokussierung auf Materialität und Körperlichkeit, die emphatische Aufladung von Langsamkeit und Ruhe sowie die Negierung bzw. ostentative Betonung von Medialität können dabei als gegenstandsübergreifende Authentisierungsstrategien betrachtet werden. Die ihnen inhärenten Paradoxien erhöhen nicht nur ihre Stabilität, sondern bestimmen auch das Spannungsverhältnis zwischen Authentizität und Medialität.

 

Filmografie

Der Letzte seines Standes? Der Faßbinder, Benedikt Kuby, D 1993.

Der Letzte seines Standes? Der Schmied, Benedikt Kuby, D 1993.

Der Letzte seines Standes? Benedikt Kuby/ Rüdiger Lorenz/ Bernd Strobel, 48 Folgen, D 1991-2008.

 

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